Die Viren-Hacker: RNAi-Therapie gegen virale Atemwegserkrankungen
Inhalation als Königsweg
© Fraunhofer ITEM/Ralf Mohr
Das Parainfluenza-Virus kann vor allem bei immungeschwächten Menschen und Kindern schwere Erkrankungen der Atemwege auslösen. Bislang gibt es bis auf Bettruhe und Mittel zur Symptomlinderung kaum wirksame Hilfe für Patienten. Einen Ansatz liefert die RNA-Interferenz-Technologie (RNAi). Sie basiert auf einem natürlichen Mechanismus unserer Zellen, der die Abschaltung von Genen reguliert. Bestimmte Abschnitte im Genom des Virus werden gezielt blockiert, sodass seine Proteinsynthese gestört wird. Dadurch ist das eigene Immunsystem in der Lage, die Viren besser zu bekämpfen und ihre Ausbreitung zu verhindern. Im Projekt iGUARD (integrated Guided Ultrafast Antiviral RNAi Drug development) nutzen die Forschenden kleine Schnipsel der RNA, sogenannte siRNA (small interfering RNA), die wie ein Puzzleteil zu bestimmten Sequenzen des Virus-Genoms passen und diese stilllegen.
Um herauszufinden, welche Abschnitte des Virus-Genoms es dabei besonders in den Blick nehmen muss, nutzt das Team nicht nur molekularbiologische Methoden, sondern setzt auch auf computergestütztes Wirkstoffdesign. So filtert es aus vorhandenen Genom-Datenbanken relevante Bereiche vor. »Wir fokussieren uns bei der Suche auf Regionen, die wesentlich sind für die Replikation des Virus und damit weniger zum Mutieren neigen«, erläutert Dr. Philippe Vollmer Barbosa, einer der Projektverantwortlichen am Fraunhofer ITEM. »Damit können wir Resistenzen und eine Immunflucht durch Mutation wesentlich reduzieren.« Durch diese Vorgehensweise lässt sich der herkömmliche Entwicklungsprozess von normalerweise Monaten oder Jahren auf wenige Wochen verkürzen.
Inhalation als Königsweg
Die Herausforderung ist: Wie kommt der Wirkstoff möglichst gezielt in die Lunge? Um die fragile siRNA ohne große Verluste und mit weniger Nebenwirkungen direkt an den Ort zu bringen, wo sie wirken soll, ist Inhalation der Königsweg. Als Träger sollen dabei sogenannte Lipidnanopartikel dienen, wie man sie von der Coronaimpfung kennt. »Nur: Bei einer intravenösen Verabreichung konzentrieren sich Lipidnanopartikel meist in der Leber, deshalb richten sich bislang zugelassene siRNA-Medikamente vor allem gegen Lebererkrankungen«, erläutert Prof. Armin Braun, einer der Initiatoren von iGUARD und Leiter des Bereichs Präklinische Pharmakologie und Toxikologie am Fraunhofer ITEM. Er und sein Team gehen mit der Inhalation einen neuen Weg. »Ein großes Problem, vor dem wir standen, war, dass bisher verfügbare Lipidnanopartikel durch die beim Inhalieren wirkenden physikalischen Kräfte oft beschädigt oder ganz zerstört werden. Zudem können sie eine mitunter überschießende Immunantwort hervorrufen«. Deshalb testeten die Forschenden viele verschiedene Formulierungen, bis sie eine Zusammensetzung fanden, bei der sich die Lipidnanopartikel robuster gegen das Zerstäuben beim Inhalieren erweisen und trotzdem sicher in die Zellen gelangen. Da sie sich bei einer Inhalation relativ homogen verteilen, sind auch weniger unerwünschte Nebenwirkungen zu beobachten.
Nach computerbasierten Simulationen und diversen In-vitro-Versuchen an den hochmodernen, speziellen Lungentestsystemen des Fraunhofer ITEM wurde der Wirkstoff nun am lebenden Organismus erprobt. Bei den ersten In-vivo-Versuchen konnten die Forschenden die Viruslast in der Lunge um etwa die Hälfte reduzieren. Um die optimale Dosis zu ermitteln, führen sie derzeit weitere Tests durch. 2025 soll dann die erste klinische Phase beginnen. Dr. Philippe Vollmer Barbosa: »Hier sind vor allem Patienten mit Lungentransplantationen interessant für uns, weil sie zum einen besonders gefährdet sind für einen schweren Verlauf von Atemwegserkrankungen. Zum anderen werden diese Patienten schon zu Beginn einer Erkältung recht gut überwacht«, führt der Biochemiker aus. »Das ist wichtig, denn wie bei allen antiviralen Medikamenten ist auch bei siRNA-Wirkstoffen eine möglichst frühzeitige Behandlung entscheidend.« Nach der zweiten und dritten klinischen Phase, so zeigt sich Vollmer Barbosa zuversichtlich, könnten bereits in fünf oder sechs Jahren erste marktfähige Medikamente verfügbar sein.
Die iGUARD-Experten haben bei ihren Entwicklungen zwar speziell Parainfluenzaviren im Blick, doch hat das innovative Verfahren durchaus das Potenzial, auch die Entwicklung weiterer antiviraler Therapien zu revolutionieren – und zu beschleunigen. Somit könnte die Plattformtechnologie ein Baustein in der Vorbereitung auf kommende Pandemien werden. Die Kombination aus inhalierbaren Therapeutika und RNAi-Technologie hat auch die Bundesagentur für Sprunginnovationen überzeugt: Im Innovationswettbewerb SPRIND Challenge »Broad-Spectrum Antivirals« kam das Projekt ins Finale der dritten und letzten Runde und wird mit 2,5 Millionen Euro gefördert.