Früherkennung von Krebs möglich machen - KI hilft
Blutzellen verraten Tumore im Körper: Forschende erzielen Durchbruch bei der Entwicklung eines Tests für die frühzeitige Diagnose von Krebs
Tumorzellen verraten sich selbst
Eine Krebserkrankung im Körper zu erkennen oder deren Therapieverlauf zu überwachen, ist normalerweise sehr aufwendig und erfolgt oft erst in einer späten Phase, wenn die Anzeichen unübersehbar werden. Grundlagenforschende sind deswegen auf der Suche nach Verfahren, die sowohl im klinischen Alltag einfach einzusetzen als auch verlässlich und empfindlich sind. Die Forschungsgruppe um Shivashankar nahm dabei Lymphozyten und Monozyten ins Visier, die in Fachkreisen unter der Bezeichnung mononukleäre Zellen des peripheren Blutes geführt werden. Diese sind über eine einfache Blutprobe leicht zu gewinnen und haben einen im Mikroskop gut sichtbaren, runden Kern. Das dort befindliche Erbmaterial, so die Vermutung der Forschenden, reagiert auf Stoffe in der Blutbahn, die der Tumor abgibt, das sogenannte Sekretom. Dieses aktiviert das sogenannte Chromatin in den Kernen der Blutzellen, verändert also die Organisation der Erbsubstanz darin. Das kann dann wiederum als Indikator oder Biomarker dienen. «Unsere Hypothese war, dass die Blutzellen Tumor-Detektoren darstellen – das hat uns weit gebracht», erklärt Shivashankar.
Künstliche Intelligenz hilft bei der Diagnose
Die Forschenden untersuchten das Chromatin der Blutzellen – so nennt sich die zu einer Art Knäuel verpackte Erbsubstanz DNA – mithilfe der Fluoreszenz-Mikroskopie. Dabei erfassten sie etwa die äussere Textur, die Packungsdichte oder den Kontrast des Chromatins in den Lymphozyten oder Monozyten, zusammen genommen etwa zweihundert Merkmale. Die Mikroskop-Bilder von jeweils gesunden und erkrankten Versuchsteilnehmenden speisten sie in eine künstliche Intelligenz (KI) ein. Dabei nutzen sie die Bedingungen des «supervised learning», die dazu dienen, der Software bekannte Unterschiede beizubringen. Beim folgenden Ansatz des «deep learnings» identifizierte der Algorithmus dann selbst Unterschiede zwischen «gesunden» und «kranken» Zellen, die für den menschlichen Betrachter nicht erkennbar sind.
Die Forschungsgruppe verfolgte drei verschiedene Ansätze. In einer ersten Versuchsreihe untersuchte sie, ob das Verfahren gesunde Kontrollpersonen und Erkrankte voneinander unterscheiden kann. Dazu verglich sie die Blutzellen von zehn Patientinnen und Patienten mit jenen von zehn Gesunden. Die KI konnte gesunde und krebskranke Patienten mit einer Genauigkeit von 85 Prozent unterscheiden. «Selbst die Analyse nur einer einzigen beliebigen Zelle erfolgte noch mit einer sehr hohen Genauigkeit», so Shivashankar. In einem zweiten Ansatz ging es darum, zu ermitteln, ob die KI sogar unterschiedliche Tumorarten unterscheiden kann. Dazu fütterten die Forschenden den Algorithmus mit den Chromatin-Daten der Blutzellen von je zehn Erkrankten mit einem Gliom (Tumor des Stützgewebes der Nervenzellen), einem Meningiom (Tumor der Hirnhaut) und einem Hals-Nasen-Ohrentumor. Auch dieser Versuch erwies sich als erfolgreich. Die Zuordnungen wiesen eine Genauigkeit von mehr als 85 Prozent auf. In einer dritten Fragestellung schliesslich ging es um Patienten, die sich am Zentrum für Protonentherapie ZPT des PSI einer Bestrahlung unterzogen oder unterzogen hatten.
Damien Weber, Leiter und Chefarzt des ZPT, sieht in dem diagnostischen Ansatz grosses Potenzial und bat 150 seiner Patienten um Zustimmung, ihre Blutproben für die Studie auswerten zu dürfen: «Wir erhoffen uns von der neuen Methode, dass sie sowohl Diagnose als auch die Kontrolle des Therapieerfolges verbessern können.»
Um den Erfolg der Intervention zu erfassen, wurden die Blutproben vor, während und nach der Strahlentherapie entnommen. Auch hier arbeitete die Software erfolgreich und ordnete die Muster mit einer sehr hohen Genauigkeit richtig zu. Die Behandlung, so die Erwartung, sollte die Konzentration und Zusammensetzung der Tumorsignale im Blut verringern – und so trat es auch ein und das Aussehen der Erbsubstanz der Blutzellen normalisierte sich. «Es war erstaunlich zu beobachten, wie sich die Struktur des Chromatins im Verlauf der Behandlung wieder mehr dem gesunden Muster näherte», zeigte sich Shivashankar zufrieden.
Viele Anwendungen in der Tumordiagnose und -therapie denkbar
Aus Sicht des Biologen und seiner Mitarbeiter ist das neue Verfahren auf Basis des Blutzellen-Chromatins nicht nur auf die untersuchten Tumore anwendbar, sondern auf zahlreiche Krebsarten. Und es könnte nicht nur auf die Verlaufskontrolle der Protonentherapie beschränkt sein, sondern auch auf viele weitere Therapieformen, so etwa bei der Strahlentherapie generell, der Chemotherapie und bei Operationen. Ob das so ist, müssen nun weitere Forschungen belegen. In einer entsprechenden Publikation in der Fachzeitschrift Scientific Reports hat die Gruppe um Shivashankar in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Radiopharmazeutische Wissenschaften (CRS) am PSI bereits getestet, ob die Chromatin-Biomarker zum Aufspüren von strahlen- und chemoresistenten Zellen verwendet werden können. Bis eine Zulassung des Verfahrens durch die Behörden in der klinischen Praxis möglich ist, bleibt noch viel Arbeit zu tun – vor allem Studien mit einer grösseren Zahl an Teilnehmenden, um abzuklären, wie hoch unter klinischen Bedingungen die Zahl der falschen positiven Alarme sowie die falschen negativen Aussagen sind. Dass der Weg in die klinische Anwendung vorgezeichnet ist und Patienten von dem Verfahren profitieren werden, steht für Shivashankar ausser Zweifel. «Die Methode steht!», sagt er.
Originalveröffentlichung
Weitere News aus dem Ressort Wissenschaft
Meistgelesene News
Weitere News von unseren anderen Portalen
Verwandte Inhalte finden Sie in den Themenwelten
Themenwelt Fluoreszenzmikroskopie
Die Fluoreszenzmikroskopie hat die Life Sciences, Biotechnologie und Pharmazie revolutioniert. Mit ihrer Fähigkeit, spezifische Moleküle und Strukturen in Zellen und Geweben durch fluoreszierende Marker sichtbar zu machen, bietet sie einzigartige Einblicke auf molekularer und zellulärer Ebene. Durch ihre hohe Sensitivität und Auflösung erleichtert die Fluoreszenzmikroskopie das Verständnis komplexer biologischer Prozesse und treibt Innovationen in Therapie und Diagnostik voran.
Themenwelt Fluoreszenzmikroskopie
Die Fluoreszenzmikroskopie hat die Life Sciences, Biotechnologie und Pharmazie revolutioniert. Mit ihrer Fähigkeit, spezifische Moleküle und Strukturen in Zellen und Geweben durch fluoreszierende Marker sichtbar zu machen, bietet sie einzigartige Einblicke auf molekularer und zellulärer Ebene. Durch ihre hohe Sensitivität und Auflösung erleichtert die Fluoreszenzmikroskopie das Verständnis komplexer biologischer Prozesse und treibt Innovationen in Therapie und Diagnostik voran.