Genetische Methoden ermöglichen die Nutzung fossiler Lipide als Biomarker für sauerstoffproduzierende Ur-Bakterien

Neue Studie in Nature Ecology & Evolution liefert wichtige Grundlage für die Entschlüsselung der Entwicklungsgeschichte des Lebens auf der Erde

31.10.2023
Christian Hallmann, GFZ

Landschaft in den australischen Northern Territories bei einer Exkursion zur 1,6 Milliarden Jahre alten Barney Creek Formation im McArthur Basin, um die ältesten 2-Methylhopan-Proben für diese Studie zu sammeln.

Cyanobakterien sind eine Schlüsselart in der Erdgeschichte, da sie zum ersten Mal atmosphärischen Sauerstoff einführten. Die Analyse ihrer Entwicklung gibt daher wichtige Einblicke in die Entstehung des modernen aeroben Ökosystems. Hierfür wurde lange Zeit eine bestimmte Art fossiler Lipide, sogenannte 2-Methylhopane, als wichtiger Biomarker in teils hunderte Millionen Jahre alten Sedimenten angesehen. Das geriet jedoch in Zweifel, als sich herausstellte, dass nicht nur Cyanobakterien sondern auch Alphaproteobakterien genetisch in der Lage sind, diese Lipide zu produzieren.

Ein internationales Forschungsteam um Yosuke Hoshino und Christian Hallmann vom Deutschen GeoForschungsZentrum GFZ und Benjamin Nettersheim vom MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen hat nun die stammesgeschichtliche Entwicklung und Verbreitung einiger Gene – u.a. HpnP – untersucht, die für die Synthese des Lipids 2-Methylhopan verantwortlich sind: Die Forschenden haben entschlüsselt, wann diese Gene von bestimmten Gruppen von Organismen erworben wurden. So konnten sie zeigen, dass HpnP wahrscheinlich schon im letzten gemeinsamen Vorfahren der Cyanobakterien vor über zwei Milliarden Jahren vorhanden war, während das Gen in den Alphaproteobakterien erst vor etwa 750 Millionen Jahren auftauchte. Für die Zeiten davor können 2-Methylhopane also weiterhin als eindeutiger Biomarker für sauerstoffproduzierende Cyanobakterien dienen.

Die jetzt veröffentlichte Studie zeigt, wie die Genetik im Zusammenspiel mit Sedimentologie, Paläobiologie, Geochemie den diagnostischen Wert von Biomarkern verbessern und die Rekonstruktion der frühen Ökosysteme verfeinern kann.

Mikio Tanabe, KEK Japan

Dr. Yosuke Hoshino (GFZ) führt biologische Analysen im Rahmen der Studie durch.

Die Bedeutung von Cyanobakterien in der Erdgeschichte

Cyanobakterien spielten eine entscheidende Rolle bei der Umwandlung der Erde von ihrem anfänglichen sauerstofflosen Zustand in ein modernes, sauerstoffreiches System, in dem zunehmend komplexes Leben möglich ist. Cyanobakterien waren vermutlich über weite Strecken des Präkambriums (die ersten rund vier Milliarden Jahre der Erdgeschichte, von den Anfängen bis etwa vor 540 Millionen Jahren) die einzige relevante Gruppe von Organismen, die anorganische in organische Substanzen umwandelte (sogenannte Primärproduzenten) und Sauerstoff produzierte. Daher ist die Analyse ihrer evolutionären Entwicklung von großer Bedeutung für das Verständnis der gemeinsamen Geschichte von Leben und Erde.

Die Bedeutung fossiler Lipide als Biomarker

Im Prinzip können die fossilen Überreste ganzer Cyanobakterien als Indikator für das Vorhandensein sauerstoffhaltiger Photosynthese in der geologischen Vergangenheit dienen. Aufgrund von Verzerrungen bei der Konservierung und Unklarheiten bei der Erkennung fossiler Cyanobakterienzellen verwenden die Geochemiker:innen für ihre Forschungen jedoch fossile diagnostische Lipide wie 2-Methylhopane. 2-Methylhopanoide, wie die nicht versteinerten Moleküle heißen, werden von den Bakterien produziert und sie sind in versteinertem Zustand – im Gegensatz zu den Bakterien – auch nach Hunderten Millionen Jahren in guter Qualität und ihrem ursprünglichen Vorkommen entsprechender Quantität in Sedimentgestein nachweisbar.

An der Eignung von 2-Methylhopan als Biomarker für Cyanobakterien gab es allerdings zuletzt Zweifel: Durch die Entdeckung eines Gens für die Lipid-Biosynthese wurde festgestellt, dass auch Alphaproteobakterien in der Lage sind, diese Lipide zu produzieren. Damit war die zeitliche Einordnung von sauerstoffproduzierenden Prozessen nicht mehr eindeutig möglich.

Neuer Ansatz: Umfassende genetische Analyse kombiniert mit neuen, hochreinen Sedimentanalysen

Ein internationales Forschungsteam um Yosuke Hoshino, Wissenschaftler in der GFZ-Sektion 3.2 „Organische Geochemie“, und Sektionsleiter Christian Hallmann, auch Professor an der Universität Potsdam, sowie Benjamin Nettersheim vom MARUM der Universität Bremen hat nun systematisch untersucht, welche Organismen außer Cyanobakterien die für die Produktion von 2-Methylhopanoid notwendigen Gene mit der Abkürzung SC und HpnP besitzen und wann sie sie im Laufe ihrer Entwicklungsgeschichte erworben haben. Auf diese Weise konnte das Team zeigen, dass das fossile Lipid 2-Methylhopan für die Zeiten, die mehr als 750 Millionen Jahre zurückliegen, auch weiterhin als eindeutiger Biomarker für die Existenz von Cyanobakterien genutzt werden kann.

Darüber hinaus haben die Forschenden eine integrierte Darstellung der 2-Methylhopan-Produktion im Laufe der Erdgeschichte erstellt. Hierfür kombinierten sie ihre molekularen Daten mit neuen, unter hochreinen Bedingungen durchgeführten Sedimentanalysen.

„Die von uns vorgeschlagene Methode ist im Prinzip auf jede organische Substanz in geologischen Archiven anwendbar und hat ein großes Potenzial, die evolutionäre Entwicklung verschiedener Ökosysteme mit deutlich höherer zeitlicher und räumlicher Auflösung als bisher zu verfolgen“, resümiert Hoshino.

Methodik I: Computerstudie zur Gen-Analyse

Für die Analyse der genetischen Zusammenhänge durchsuchte Hoshino öffentlich zugänglichen Online-Datenbanken, die Millionen von Gen-/Proteinsequenzen enthalten, nach Organismen mit SC- und HpnP-Genen. Auf Basis dieses genetischen Datensatzes erstellte er sogenannte phylogenetische Bäume, die Aufschluss darüber geben, wie die SC- und HpnP-Gene zwischen verschiedenen Organismen übertragen wurden und ob der Gentransfer vertikal via Vererbung stattfand oder horizontal zwischen evolutionär nicht verwandten Organismen.

Darüber hinaus konnten die Forschenden auch bestimmen, wann einzelne Gentransfers in der Evolutionsgeschichte der Gene stattgefunden haben. Hierfür zogen sie frühere Studien zu Rate, welche mit der sogenannten Technik der molekularen Uhr operierten, die die DNA-Mutationsrate berücksichtigt und den zeitlichen Verlauf der Genentwicklung abschätzt.

Methodik II: Neue Art der ultra-sauberen Probenpräparation

Da präkambrische Biomarker-Datensätze sehr empfindlich gegenüber Kontaminationen sind, haben die Forschenden darüber hinaus eine ultra-saubere Methode zur Extraktion der organischen Substanz aus Sedimentkernen genutzt. Die geologischen Proben in Form von Bohrkernen wurden von mehreren Co-Autoren aus 16 Ländern gesammelt. Sie repräsentieren verschiedene geologische Zeiträume vom Paläoproterozoikum (vor 2,5 Milliarden Jahren) bis zur Gegenwart. In der organischen Substanz wurde dann die relative Häufigkeit von 2-Methylhopanen gemessen.

Die Ergebnisse im Einzelnen

Es gibt viele Bakterien, die SC- und HpnP-Gene besitzen, in der Hauptsache sind dies aber Cyanobakterien und Alphaproteobakterien. Es zeigte sich, dass beide Gruppen die SC- und HpnP-Gene unabhängig voneinander erworben haben. Das steht im Gegensatz zu früheren Studien, die zu dem Schluss kamen, dass Cyanobakterien diese Gene von Alphaproteobakterien in einem späten Stadium ihrer Evolution erworben haben.

Die neue Studie ergab ferner, dass der gemeinsame Vorfahre der Cyanobakterien beide Gene bereits vor mehr als 2,4 Milliarden Jahren besaß, als sich während der sogenannten Großen Sauerstoffkatastrophe Sauerstoff in der Atmosphäre anzureichern begann.

Dagegen haben Alphaproteobakterien die SC- und HpnP-Gene frühestens vor etwa 750 Millionen Jahren erworben. Davor wurden 2-Methylhopanoide folglich praktisch nur von Cyanobakterien produziert.

Die Forschenden interpretieren einen leicht verzögerten Anstieg der 2-Methylhopane in den Sedimenten vor etwa 600 Millionen Jahren als Zeichen für die globale Ausbreitung der Alphaproteobakterien, die möglicherweise den gleichzeitigen evolutionären Aufstieg der eukaryotischen Algen begünstigt hat.

Einordnung und Ausblick

„Die einzelnen oben genannten Analysemethoden sind nicht neu, aber nur wenige Forscher haben bisher umfassende Analysen für SC und HpnP durchgeführt und versucht, genetische Daten mit sedimentären Biomarkerdaten zu integrieren, da dies die Kombination zweier völlig unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen – der Molekularbiologie und der organischen Geochemie – erfordert“, sagt Hoshino.

„Die Quelle der sedimentären 2-Methylhopane ist seit langem umstritten“, fügt Christian Hallmann hinzu. „Diese neue Studie schafft nicht nur Klarheit über die Diagnostizierbarkeit der 2-Methylhopane und die Rolle der Cyanobakterien in der Ur-Vergangenheit; ihre Methodik bietet einen neuen Weg, um die Diagnostizierbarkeit theoretisch jedes Biomarker-Lipids zu verfeinern, sobald die Biosynthesegene bekannt sind.“

Originalveröffentlichung

Weitere News aus dem Ressort Wissenschaft

Meistgelesene News

Weitere News von unseren anderen Portalen

Alle FT-IR-Spektrometer Hersteller