Long COVID macht das Denken langsamer
Objektiver Nachweis für mentale Fatigue
Als eine der ersten Kliniken bundesweit richtete das Universitätsklinikum Jena (UKJ) eine interdisziplinäre Ambulanz für Post-COVID ein. Es meldeten sich viele Patientinnen und Patienten, die zwar von der Infektion mit SARS-CoV2 genesen waren, sich aber noch gar nicht gesund fühlten. Ein Großteil der Betroffenen kann nur eingeschränkt oder gar nicht mehr berufstätig sein. Weil über die Hälfte auch über Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen klagten, ist das Gedächtniszentrum des UKJ von Beginn an in die Betreuung einbezogen.
Das multidisziplinäre Team des Zentrums kommt aus den Bereichen Neurologie, Psychiatrie, Neuropsychologie, Ergotherapie und Sozialarbeit und verfügt über ein umfassendes Instrumentarium für die Diagnostik. So lassen sich mit neurokognitiven Tests verschiedene Aspekte der kognitiven Leistungsfähigkeit, wie Gedächtnis, sprachliche Leistungen, die Verarbeitungsgeschwindigkeit oder die Fähigkeit zu priorisieren, objektiv erfassen. „Daraus ergeben sich Muster, die typisch sind für verschiedene neurologische Erkrankungen“, erklärt Prof. Dr. Kathrin Finke, die psychologische Leiterin des Zentrums. „An diesen Signaturen können wir z.B. zur Abgrenzung unterschiedlicher beginnender Demenzen von Depressionen beitragen oder verschiedene Syndrome nach Schlaganfällen klassifizieren. Uns interessierte natürlich, ob auch Long COVID ein typisches Defizitprofil hat.“
Objektiver Nachweis für mentale Fatigue
Deshalb untersuchte das Team die kognitive Leistungsfähigkeit von 40 Post-COVID-Patientinnen und Patienten mit subjektiv anhaltenden kognitiven Defiziten nach COVID-Infektion. Es verglich die Ergebnisse mit denen von 40 gesunden Kontrollpersonen von entsprechendem Alter, Geschlecht und Bildungsgrad. Alle Teilnehmenden durchliefen unter Laborbedingungen einen computerbasierten Test, bei dem sie kurzzeitig präsentierte Buchstaben erfassen und benennen sollten. So können verschiedene Aufmerksamkeitsfunktionen mit großer Genauigkeit bestimmt werden. “Dabei stellten wir fest, dass die Post-COVID-Patientinnen und –Patienten visuelle Informationen deutlich langsamer verarbeiten als Gesunde. Diese Geschwindigkeit ist ein gutes Maß für ihre geistige Wachheit und Reaktionsfähigkeit“, so die Neuropsychologin Eva Maria Martin.
Um zu messen, wie schnell die Probanden und Probandinnen ermüden, nutzte das Studienteam eine spezielle Brille mit integrierter Infrarotkamera im Schlaflabor der Klinik für Neurologie. Diese kann die Pupillenunruhe erfassen, einen Biomarker für die allgemeine Gehirnaktivierung. Zudem schätzten die Teilnehmenden ihre mentale Erschöpfung mit Hilfe eines Fragebogens ein. Im Ergebnis konnte das Studienteam einen deutlichen Zusammenhang zwischen der gemessenen Verarbeitungsgeschwindigkeit, der Pupillenunruhe und der subjektiv empfundenen Erschöpfung feststellen. Eva Maria Martin: „Die Post-COVID-Gruppe hat im Vergleich zur Kontrollgruppe eine geringere Verarbeitungsgeschwindigkeit und ermüdet schneller. Damit können wir die von den Betroffenen berichtete mentale Fatigue objektiv nachweisen.“
Standardtests bestätigen die kognitiven Defizite
In Fortführung der Studie untersuchte das Team, ob sich dieser Befund mit neuropsychologischen Tests bestätigen lässt, die wesentlich breiter angewandt werden und für die keine speziellen Labore notwendig sind. Außerdem interessierte die Forschenden, ob sich die gefundenen Defizite mit der Zeit verändern. Dazu wiederholten sie die Untersuchungen nach einem Zeitraum von sechs Monaten. Das Ergebnis: Auch in den klinisch etablierten Standardtests zeigten sich Defizite in der Post-COVID-Gruppe immer dann, wenn es um eine schnelle Informationsverarbeitung und eine schnelle Reaktion ging. Diese Verlangsamung bestand unverändert über sechs Monate fort.
„Wir sehen darin den Beleg für eine chronisch geminderte Hirnaktivität bei Long-COVID, die sich vor allem in einer verlangsamten Informationsverarbeitung äußert. Dieses relativ stabile Profil ist charakteristisch für die neurokognitiven Symptome bei Post-COVID und sicher auch für Langzeitfolgen nach anderen Infektionen“, betont Kathrin Finke. Damit ist die verlangsamte Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit nicht nur ein wichtiges Kriterium für die Objektivierung der kognitiven Defizite im Rahmen dieses Krankheitsbildes. Sie könnte sich auch als Maß eignen, um die Wirksamkeit von Therapieansätzen zu beurteilen.