Zebrafisch-„Avatare“ für die Glioblastom-Therapie
Welche neuartigen Therapien am besten gegen einen aggressiven Hirntumor ankommen, wollen Forscher*innen künftig mithilfe einer neuen Plattform testen
Lise Finotto, VIB – KU Leuven
„Diese Patientinnen und Patienten brauchen dringend neue Therapien“, sagt Professor Holger Gerhardt, einer der Letztautoren der Studie und stellvertretender Wissenschaftlicher Vorstand des Max Delbrück Centers in Berlin. „Es ist sehr wichtig, die Betroffenen zu identifizieren, bei denen eine bestimmte Behandlung anschlägt und jene, denen sie nicht helfen wird.“
Lise Finotto, Erstautorin und Krebsforscherin am VIB-KU Leuven Center for Cancer Biology in Belgien und zuvor am Max Delbrück Center, sowie ihre Kooperationspartner Gerhardt und Professor Frederik De Smet von der KU Leuven haben jetzt eine neue Screening-Plattform etabliert. Wenn man sie etwas weiterentwickelt, könnte man mit ihrer Hilfe neuartige Zielstrukturen für Wirkstoffe gegen das Glioblastom finden. Außerdem könnte man prüfen, ob ein bestimmter Patient oder eine bestimmte Patientin auf die geplante Therapie ansprechen wird. Die Studie ist im Fachmagazin „EMBO Molecular Medicine“ erschienen.
Um das Zusammenspiel von Glioblastom-Zellen und Makrophagen bei verschiedenen Patient*innen zu verstehen, haben die Forscher*innen Zebrafisch-„Avatare“ geschaffen. Die Arbeitsgruppe von Holger Gerhardt arbeitet oft mit Zebrafischen. Denn diese drei Zentimeter langen Fische gelten als guter Modell-Organismus. Schließlich sind ihre Embryonen durchsichtig; man kann also problemlos beobachten, was in ihren Körpern passiert.
Unerwartet lange überlebt
Finotto hat Stammzellen von sieben Patient*innen untersucht, die in einer Biobank der KU Leuven erfasst sind. Die Arbeitsgruppe von De Smet baut diese Biobank mit Glioblastom-Gewebeproben gerade auf. Finotto hat die Stammzellen in Zebrafisch-Embryonen injiziert und mit diesen Xenotransplantaten quasi Avatare für den Tumor jede*r einzelne*n Patient*in geschaffen. Anschließend beobachtete sie die lebenden Zebrafisch-Embryonen mithilfe der Video-Fluoreszenzmikroskopie: Die Glioblastom-Zellen passten sich schnell an ihre neue Umgebung an. Das Immunsystem der Zebrafische schickte zwar Makrophagen zum Tumor, um den Krebs zu kontrollieren. Aber sie wurden ausgebremst, so wie es für das Glioblastom typisch ist. Die Tumoren nutzen zudem mehrere Mechanismen, um die Makrophagen umzuprogrammieren – und sie für das eigene Wachstum einzusetzen.
„Wir wollten wissen, wie man die Makrophagen dazu bringen kann, den Tumor wieder anzugreifen“, sagt Finotto. Ein möglicher Anhaltspunkt: Der Tumor eines Patienten konnte die normale Reaktion der Makrophagen nicht unterdrücken.
„Als wir uns die Krankengeschichte genauer anschauten, entdeckten wir, dass es sich um einen Langzeit-Überlebenden handelt“, sagt De Smet von der KU Leuven. „So bezeichnet man Glioblastom-Patient*innen, die mehr als fünf Jahre überleben. Das ist bei diesem Hirntumor ausgesprochen selten.“
Eine Test-Plattform
Das Interesse an dem Patienten sei die treibende Kraft hinter dem Projekt gewesen, sagt Finotto. Das Team kultivierte Tumorzellen und Makrophagen zusammen in der Petrischale. Dank der Einzelzell-Sequenzierung sahen sie, dass ein Gen namens LGALS1 im Tumor des Langzeit-Überlebenden im Vergleich zu den anderen Patient*innen weniger oft abgelesen wurde. Vorherige Studien hatten ebenfalls gezeigt, dass das Abschalten von LGALS1 in Glioblastom-Zellen zu einem längeren Überleben führen kann.
Die Wissenschaftler*innen bestätigten das Ergebnis: Sie schalteten das Gen in der Probe eines anderen Patienten aus und konnten bei den Zebrafischen beobachten, das der Tumor dadurch weniger aggressiv war.
Die Plattform eignet sich dafür, neben LGALS1 andere geeignete Ziele für die Glioblastom-Therapie zu identifizieren, sagt Finotto. Entwickelt man die Plattform weiter, könnten die Zebrafisch-Avatare zeigen, welche Behandlung erfolgversprechend ist. Denn Forscher*innen könnten analysieren, wie die Tumorzellen eines bestimmten Patienten oder einer bestimmten Patientin auf diverse Medikamente reagieren und genau die aussuchen, die den Tumor verkleinern, sagt Gerhardt.
„Mit diesen Ergebnissen könnten wir den Onkolog*innen helfen, eine fundiertere Therapieentscheidung für ihre Patient*innen zu treffen“, sagt De Smet.
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Themenwelt Fluoreszenzmikroskopie
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