Bei Tieren einzelne Zellen genetisch verändern

Methode eignet sich besonders, um Krankheiten mit komplexen genetischen Ursachen zu erforschen: Spin-off in Planung

25.09.2023
ETH Zürich

Mit der neuen Methode lassen sich die Zellen in einzelnen Organen von Tieren mosaikartig genetisch verändern (mit Midjourney erstelles Symbolbild).

Forschende der ETH Zürich haben eine Methode entwickelt, mit der sie in Tieren jede Zelle anders genetisch verändern können. Damit können sie in einem einzigen Experiment untersuchen, wozu früher viele Tierversuche nötig waren. Die Forschenden haben damit Gene entdeckt, die relevant sind für eine schwere, seltene Erbkrankheit.

Um den genetischen Ursachen von Krankheiten auf die Spur zu kommen, ist es eine bewährte Methode, in Tieren ein einzelnes Gen auszuschalten und die Folgen davon für den Organismus zu untersuchen. Allerdings tragen bei vielen Krankheiten mehrere Gene zum Krankheitsbild bei. Für Wissenschaftler:innen ist es dann richtig schwierig herauszufiltern, welches Gen wie stark am Krankheitsgeschehen beteiligt ist. Sie müssten dazu viele Tierexperimente durchführen – je eines pro gewünschte Genveränderung.

Forschende unter der Leitung von Randall Platt, Professor für Biologisches Engineering am Departement für Biosysteme der ETH Zürich in Basel, haben nun eine Methode entwickelt, welche die Forschung mit Versuchstieren stark vereinfachen und beschleunigen wird: Sie nehmen mit Hilfe der Crispr/Cas-​Genschere in den Körperzellen eines einzelnen Tiers mosaikartig mehrere Dutzend Genveränderungen gleichzeitig vor: In jeder Zelle ist höchstens ein Gen verändert, die verschiedenen Zellen eines Organs sind aber auf unterschiedliche Weise verändert. Einzelne Zellen lassen sich anschliessend präzise analysieren. Damit können die Forschenden in einem einzigen Experiment die Folgen vieler unterschiedlicher Genveränderungen untersuchen.

Erstmals in ausgewachsenen Tieren

Die ETH-​Forschenden haben diesen Ansatz zum ersten Mal erfolgreich in lebenden Tieren – konkret: in ausgewachsenen Mäusen – angewandt, wie sie in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins «Nature» berichten. Zuvor entwickelten andere Wissenschaftler:innen einen ähnlichen Ansatz bei Zellen in Kultur und bei Tierembryonen.

Um die Information darüber, welche Gene die Crispr/Cas-​Genschere zerstören soll, in die Körperzellen der Mäuse zu bringen, verwenden die Forschenden das Adeno-​assoziierte Virus (AA-​Virus). Sie präparierten die Viren so, dass jedes Viruspartikel die Information zur Zerstörung eines Gens trägt, und infizierten die Mäuse mit einer Mischung von Viren mit unterschiedlichen Anleitungen zur Genzerstörung. Auf diese Weise konnten sie in den Zellen eines Organs – in der Studie wählten sie das Gehirn – unterschiedliche Gene ausschalten.

Neue krankheitsverursachende Gene entdeckt

Mit dieser Methode gewannen die Forschenden der ETH Zürich zusammen mit Kolleg:innen der Universität Genf neue Hinweise zu seltenen Erbkrankheiten bei Menschen, die als Mikrodeletionssyndrom 22q11 bezeichnet werden. Betroffene Menschen zeigen viele unterschiedliche Symptome, werden häufig mit Krankheiten wie Schizophrenie und Autismus-​Spektrum-Störungen diagnostiziert. Bisher war bekannt, dass eine Chromosomenregion, in der 106 Gene liegen, für diese Krankheit verantwortlich ist. Ebenso war bekannt, dass mehrere Gene zu dieser Krankheit beitragen. Allerdings war nicht bekannt, welche der Gene welchen Anteil an der Krankheit haben.

Für ihre Studie in Mäusen fokussierten sich die Forschenden auf 29 Gene dieser Chromosomenregion, die auch im Mäusehirn aktiv sind. Sie veränderten in den Gehirnzellen von Mäusen je eines dieser 29 Gene und analysierten anschliessend die RNA-​Profile der Hirnzellen. So konnten die Wissenschaftler:innen zeigen, dass drei dieser Gene hauptverantwortlich sind für eine auch in Mäusen beobachteten Funktionsstörung von Gehirnzellen. Ausserdem beobachteten die Wissenschaftler:innen in den Mäusezellen molekulare Muster, die an Schizophrenie und Autismus-​Spektrum-Störungen erinnern. Von diesen drei Genen war eines bereits bekannt, die anderen beiden standen aber bisher nicht im Fokus der Wissenschaft.

«Wenn wir wissen, welche Gene in einer Krankheit eine abnormale Aktivität aufweisen, können wir versuchen, Medikamente zu entwickeln, welche diese Abnormalität ausgleichen», sagt António Santinha, Doktorand in Platts Gruppe und Erstautor der Studie.

Zum Patent angemeldet

Die Methode würde sich auch eignen, um andere Erbkrankheiten zu untersuchen. «Bei vielen erblich bedingten Krankheiten spielen mehrere Gene eine Rolle, nicht nur eines», sagt Santinha. «Das ist auch bei psychischen Erkrankungen wie zum Beispiel der Schizophrenie der Fall. Mit unserer Technik können wir nun direkt in ausgewachsenen Tieren solche Krankheiten und ihre genetischen Ursachen untersuchen.» Die Zahl der veränderten Gene liesse sich von derzeit 29 auf mehrere Hundert Gene pro Experiment erhöhen.

«Es ist ein grosser Vorteil, dass wir diese Analysen nun in Lebewesen machen können, denn in Kultur verhalten sich Zellen anders als im lebenden Organismus», sagt Santinha. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Wissenschaftler:innen den Tieren die AA-​Viren einfach ins Blut spritzen können. Es gibt verschiedene AA-​Viren mit unterschiedlichen funktionellen Eigenschaften. In dieser Studie verwendeten die Forschenden ein Virus, welches ins Gehirn der Tiere gelangt. «Je nach Untersuchungsziel könnten aber auch AA-​Viren verwendet werden, die andere Organe ansteuern», erklärt der ETH-​Doktorand.

Die ETH Zürich hat die Technologie zum Patent angemeldet. Die Forschenden möchten sie nun im Rahmen eines Spin-​offs nutzen, das sie noch gründen werden.

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