„Diät-Spritze“ normalisiert Gehirn bei Übergewicht
Abnehm-Medikament verbessert assoziatives Lernen bei Menschen mit Adipositas
Übergewicht führt zu einem veränderten Energiestoffwechsel und zu einer verminderten Insulinempfindlichkeit der Zellen. Zur Behandlung von Übergewicht werden immer häufiger so genannte „Diät-Spritzen“ eingesetzt. Vor allem in den USA haben diese einen regelrechten Hype ausgelöst. Forschende des Max-Planck-Instituts für Stoffwechselforschung in Köln haben nun an Proband:innen gezeigt, dass eine verminderte Insulinsensitivität der Zellen bei Übergewicht die Fähigkeit zum assoziativen Lernen herabsetzt. Bereits eine einmalige Gabe des Abnehm-Medikaments Liraglutid konnte diese Veränderungen rückgängig machen und das Gehirn wieder in den Normalzustand versetzen.
Um unser Verhalten steuern zu können, muss das Gehirn in der Lage sein, Assoziationen zu bilden. Dabei wird beispielsweise ein neutraler äußerer Reiz mit einer Konsequenz verknüpft, die auf diesen Reiz folgt (z.B. die Herdplatte leuchtet rot – man kann sich die Hand verbrennen). Dadurch lernt das Gehirn, welche Konsequenzen unser Umgang mit dem ersten Reiz hat. Das assoziative Lernen ist die Grundlage für die Bildung neuronaler Verknüpfungen und verleiht Reizen eine motivierende Kraft. Es wird wesentlich von einer Hirnregion gesteuert, dem dopaminergen Mittelhirn. Diese Region hat viele Rezeptoren für körpereigene Hormone wie z.B. Insulin und kann damit unser Verhalten an die physiologischen Bedürfnisse unseres Körpers anpassen.
Doch was passiert, wenn die Insulinsensitivität im Körper durch Übergewicht verringert ist? Verändert sich dadurch unsere Gehirnaktivität, unsere Fähigkeit, Verknüpfungen zu erlernen, und somit unser Verhalten zu steuern? Forschende des Max-Planck-Instituts für Stoffwechselforschung haben nun bei Probanden mit normalem Körpergewicht (hohe Insulinsensitivität, 30 Proband:innen) und Probanden mit Adipositas (verminderte Insulinsensitivität, 24 Proband:innen) gemessen, wie gut das Lernen von Assoziationen funktioniert und welchen Einfluss das Abnehm-Medikament Liraglutid darauf hat.
Geringe Insulinsensitivität senkt die Fähigkeit unseres Gehirns sensorische Reize miteinander zu verknüpfen
Dazu spritzten sie den Probanden abends entweder das Medikament Liraglutid oder ein Placebo. Liraglutid ist ein so genannter GLP-1 Agonist, der im Körper den GLP-1-Rezeptor aktiviert, so die Insulinproduktion im Körper anregt und nach dem Essen ein der Nahrungsaufnahme entsprechendes Sättigungsgefühl erzeugt. Es wird häufig zur Behandlung von Übergewicht und Typ-2-Diabetes eingesetzt und im Rahmen der Therapie einmal täglich verabreicht. Am nächsten Morgen bekamen die Proband:innen eine Lernaufgabe, mit der die Forschenden messen konnten, wie gut das assoziative Lernen funktioniert. Dabei stellten sie fest, dass die Fähigkeit, sensorische Reize miteinander zu verknüpfen, bei den Probanden mit Adipositas geringer ausgeprägt war als bei Normalgewichtigen und dass die Hirnaktivität in den Hirnbereichen vermindert ist, die dieses Verhalten beeinflussen.
Bereits nach einmaliger Gabe von Liraglutid zeigten die Proband:innen mit Adipositas diese Beeinträchtigungen nicht mehr, so dass kein Unterschied in der Gehirnaktivität zwischen den Proband:innen mit Normalgewicht und Adipositas mehr gesehen werden konnte. Das Medikament versetzte das Gehirn also wieder in den Zustand normalgewichtiger Proband:innen.
„Diese Ergebnisse sind von grundlegender Bedeutung. Wir zeigen hier, dass grundlegende Verhaltensweisen wie das assoziative Lernen nicht nur von äußeren Umweltbedingungen abhängen, sondern auch vom Stoffwechselzustand des Körpers. Ob jemand Übergewicht hat oder nicht, bestimmt also auch, wie das Gehirn lernt, sensorische Signale zuzuordnen und welcher Antrieb dabei entsteht. Die Zustandsnormalisierung, die wir durch das Medikament bei Proband:innen mit Adipositas erreichen, passt also zu den Ergebnissen von Studien, dass durch diese Medikamente wieder ein normales Sättigungsgefühl vermittelt wird und die Menschen infolge weniger essen und damit abnehmen“, sagt Studienleiter Marc Tittgemeyer vom Max-Planck-Institut für Stoffwechselforschung.
„Während es erfreulich ist, dass die verfügbaren Medikamente einen positiven Einfluss auf die Hirnaktivität bei Adipositas haben, ist es aber erschreckend, dass es schon bei jungen Menschen mit Adipositas ohne sonstige Erkrankungen zu Leistungsveränderungen des Gehirns kommt. Die Prävention von Adipositas sollte in Zukunft eine viel größere Rolle in unserem Gesundheitssystem spielen. Die lebenslange Einnahme von Medikamenten ist die deutlich schlechtere Option, wenn wir durch Prävention Übergewicht und Folgeerkrankungen vermeiden könnten", sagt Ruth Hanßen, Erstautorin der Studie und Ärztin an der Uniklinik Köln.