Erstmals genaue Daten zu dynamischen Molekülaggregaten in Zellen

Mithilfe einer neu entwickelten Mikroskopiemethode konnten Forschende erstmals kleine, dynamische Molekülaggregate in lebenden Zellen quantifizieren, die eine wichtige Rolle bei der Signalverarbeitung spielen

17.08.2023 - Deutschland
Dr. Bizan Balzer / Universität Freiburg

Für die neue Methode nutzen die Forschenden ein optimiertes HILO-Mikroskop (highly inclined and laminated optical sheet).

In Zellen laufen viele lebenswichtige Prozesse in membranlosen Molekülaggregaten ab. Solche Aggregate sorgen dafür, dass die beteiligten Moleküle in der richtigen Konzentration und Nähe zueinander vorliegen. Forschende des Exzellenzclusters CIBSS der Universität Freiburg und der University of Cambridge/Großbritannien konnten nun erstmals die Entstehung dieser sogenannten Kondensate in lebenden Zellen beobachten und analysieren. In Nature Communications beschreiben sie, dass nicht nur physikalische Prinzipien, sondern auch aktive Kontrollmechanismen deren Wachstum regulieren. Die Versuchsprotokolle und Analyseprogramme sind ab sofort kostenlos verfügbar und machen die Forschung an kleinen Aggregaten auch für weniger spezialisierte Labors möglich.

Wenn die Moleküle im Inneren einer Zelle zufällig verteilt wären, wäre sie nicht lebensfähig. Erst durch die Aufteilung in spezialisierte Bereiche können viele biochemische Prozesse aufeinander abgestimmt ablaufen. Zum Teil sind diese Kompartimente durch Membranen voneinander getrennt, eine Abgrenzung funktioniert aber auch ohne äußere Hülle. Gerade solche membranlosen Molekülaggregate, auch Kondensate genannt, erfüllen wichtige biologische Funktionen, weil ihre Größe und Anzahl besonders flexibel sind. Man geht davon aus, dass sie sich durch den physikalischen Prozess der sogenannten Flüssig-Flüssig-Phasentrennung bilden.

„Diese Kondensate sind ein wichtiger Steuerungsmechanismus in Zellen, denn sie können biochemische Prozesse je nach Bedarf beschleunigen oder verlangsamen,“ erklärt Prof. Dr. Thorsten Hugel. Er ist Mitglied des Exzellenzclusters CIBSS – Centre for Integrative Biological Signalling Studies der Universität Freiburg und hat die aktuelle Studie gemeinsam mit Prof. Dr. Aleks Reinhardt von der University of Cambridge geleitet.

Kleinere Kondensate sind schwieriger zu untersuchen

Wie Kondensate der Zelle dabei helfen, biologische Signale und Umweltreize zu verarbeiten, sei noch viel zu wenig erforscht, sagt Hugel. „Man konzentriert sich in der Forschung meist auf große und statische Kondensate, weil die einfacher zu untersuchen sind. Aber diese großen Kondensate sind meist nur das Endstadium eines langen Prozesses. Viel interessanter sind kleine Kondensate, die dynamisch wachsen und zerfallen,“ erklärt er. Das Problem: Sie bestehen aus relativ wenigen Molekülen und sind sogar für hochauflösende Mikroskopiemethoden zu klein und schnell, um sie in lebenden Zellen zu untersuchen.

Neue Methode umgeht technische Limitationen

In der aktuellen Studie haben die Forschenden aus Freiburg und Cambridge jetzt einen Weg beschrieben, wie sich diese technischen Limitationen umgehen lassen. Dafür nutzten sie konventionelle hochauflösende Fluoreszenzmikroskopie mit einem schrägen Laser, sogenannte HILO-Mikroskopie, und kombinierten sie mit einem speziellen experimentellen Vorgehen und KI-gestützten Analysemethoden.

Wachstum nicht allein durch physikalische Prozesse erklärbar

Die so gemachten Messungen in lebenden Zellen verglichen die Forschenden mit theoretischen Annahmen zur Bildung von Kondensaten. „Die Ergebnisse haben uns überrascht,“ sagt Reinhardt, der an der Fakultät für Chemie an der University of Cambridge forscht. „Bei den Kondensaten, die wir im Rahmen dieser Studie untersucht haben, folgt das anfängliche Wachstum noch physikalischen Modellen. Das würden wir für solche Prozesse auch erwarten. Ab einer bestimmten Größe hört dieses Wachstum dann aber plötzlich auf.“

Das Wachstum von NELF-Aggregaten wird durch Stress-Signale reguliert

In der aktuellen Studie untersuchten die Forschenden Aggregate des Proteins NELF. Diese Proteinaggregate bilden sich, wenn eine Zelle zum Beispiel durch Hitze unter Stress steht, oder wenn sich Aggregate anderer Proteine bilden, so wie bei Demenz und anderen neurogenerativen Erkrankungen. „Durch die Bildung von Kondensaten im Zellkern hemmt NELF die Expression von Genen“, fasst Co-Autor Dr. Ritwick Sawakar die natürliche Funktion des Proteins zusammen. „Diese Hemmung ist wichtig, damit die Zelle den Stress überlebt.“ Sawakar war ebenfalls am CIBSS tätig und forscht aktuell am MRC Toxicology Unit der University of Cambridge.

Die Wissenschaftler*innen konnten jetzt beobachten, dass in Zellen auch ohne Stress viele kleine NELF-Kondensate vorliegen. „Außerhalb einer Zelle würden wir erwarten, dass die Kondensate weiterwachsen, sobald sie eine kritische Größe erreicht haben. In lebenden Zellen scheinen sie das aber nur zu tun, wenn die Zelle unter Stress steht“, beschreibt Reinhardt das Ergebnis. Die Forschenden schließen daraus, dass NELF-Kondensate aktiv klein gehalten werden, bis Stresssignale das Wachstum wieder freigeben.

Proteinaggregate sind wohl ein wichtiger Mechanismus der Signalverarbeitung

Dieser auf den ersten Blick komplizierte Prozess ist laut der Wissenschaftler*innen wahrscheinlich essentiell für die Verarbeitung von Stresssignalen: „Größere Kondensate können sich bei Bedarf so besonders schnell bilden und kleine sehr schnell auflösen“, erklärt Hugel. „So kann die Zelle rechtzeitig auf Stress reagieren.“

Proteinaggregaten werden viele verschiedene und grundlegende Funktionen für die Signalverarbeitung in Zellen zugeschrieben. Die neue Mikroskopiemethode macht es jetzt möglich, diese Funktionen umfassend zu verstehen. Das ermöglicht auch, die Rolle von Proteinaggregaten bei Krankheiten wie Demenz, Alzheimer oder Huntingtons zu erforschen. Langfristig könnte ein besseres Verständnis davon auch bei der Diagnose oder Therapieentwicklung bei solchen Krankheiten helfen.

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