Neue Erkenntnisse zur Evolution des Pesterregers

Forschungsteam von CAU und MPI Plön identifiziert genetische Faktoren, die der Erreger Yersinia pestis während seiner jüngsten Entwicklung erworben ha

07.08.2023 - Deutschland
© Małgorzata Znarowska

Dr. Joanna Bonczarowska entdeckte gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen, dass ein vor der modernen Pandemie neu aufgenommenes genetisches Element mit der Virulenz von Y. pestis zusammenhängt.

Die Ursprünge der Pest gehen bis in die Jungsteinzeit zurück, die ältesten Funde des ursächlichen Krankheitserregers Yersinia pestis stammen aus rund 5000 Jahre alten menschlichen Knochen. In der Geschichte der Seuche treten vor allem die spätantike justinianische Pest ab dem sechsten Jahrhundert und der sogenannte schwarze Tod des Spätmittelalters hervor. Sie wurden nachweislich von Y. pestis verursacht und löschten in Teilen Europas Schätzungen zufolge bis zur Hälfte der Bevölkerung aus. Während kleinere, regional begrenzte Ausbrüche über die Jahrhunderte auf verschiedenen Kontinenten immer wieder auftraten, kam es von der Mitte des 19. bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts zu einer dritten Pest-Pandemie. Sie betraf zunächst vor allem Asien und schwerpunktmäßig Indien und breitete sich in der Folge global aus. Mit rund 15 Millionen gesicherten Todesopfern zählt sie zu den tödlichsten Pandemien der Menschheitsgeschichte. Auch in der Gegenwart tritt die Pest regional weiterhin auf und verläuft fast immer tödlich, falls keine schnelle Behandlung mit Antibiotika erfolgt.

Über Jahrtausende hat sich das Bakterium Y. pestis sowohl durch den Erwerb als auch den Verlust von Genen zu zahlreichen verwandten Stämmen entwickelt. Forschende weltweit untersuchen die Evolution von Y. pestis, um mehr über die Ursachen der historischen Pandemien und die weiterhin von der Pest ausgehenden Gefahren herauszufinden. Dazu erforschen sie insbesondere genetische Eigenschaften des Erregers, die zum Beispiel für Übertragung, geografische Verbreitung und Krankheitsschwere verantwortlich sind. Ein Forschungsteam von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön (MPI-EB) hat in einer neuen Forschungsarbeit alte und moderne Y. pestis-Genome aus einer Zeitspanne vom Neolithikum bis zur modernen Pandemie untersucht. Die Forschenden um Dr. Daniel Unterweger, Forschungsgruppenleiter am MPI-EB und an der CAU, und Professorin Almut Nebel und Professor Ben Krause-Kyora vom Institut für Klinische Molekularbiologie (IKMB) an der CAU fanden heraus, dass Y. pestis zwischen dem Mittelalter und der modernen Pandemie ein neues genetisches Element, den so genannten YpfΦ-Prophagen, aufgenommen haben muss, das mit der Virulenz des Erregers, also seiner krankmachenden Wirkung, zusammenhängt. Dieser Prophage produziert ein Protein, das bestimmten Zellgiften aus anderen Krankheitserregern, zum Beispiel dem Cholera-Erreger, stark ähnelt. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Forschenden, die unter anderem im Kiel Evolution Center (KEC) an der CAU tätig sind, kürzlich gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen von der Süddänischen Universität in Odense (SDU) in der Fachzeitschrift Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences.

© Unit of Anthropology, ADBOU, SDU

Unter anderem bei einer Ausgrabung auf einem Friedhof im dänischen Sejet gefundenen Skelette lieferten genetische Proben für die Kieler Forschungsarbeit.

Neue genetische Elemente erhöhten Virulenz des Erregers

Die genetischen Proben erlangte das Kieler Forschungsteam dank einer Zusammenarbeit mit der Abteilung für Forensische Medizin der SDU, die Skelettmaterial aus verschiedenen dänischen Museen verwaltet. Im konkreten Fall untersuchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Überreste von 42 Verstorbenen, die zwischen dem 11. und 16. Jahrhundert auf zwei dänischen Gemeindefriedhöfen bestattet wurden. Die in den Proben enthaltenen Erbinformationen wurden sequenziert und die darin enthaltenen Y. pestis-Gene mit anderen bereits bekannten Genomen aus dem Neolithikum, dem Mittelalter und der Neuzeit verglichen.

„Frühere Forschungen haben gezeigt, dass dem Erreger in seiner frühen Entwicklungsphase die genetische Ausstattung fehlte, die für eine effektive Übertragung durch den Floh erforderlich ist, wie sie für die heutige Beulenpest typisch ist. Im Laufe seiner Evolution erlangte Y. pestis eine bemerkenswerte Virulenz, die zu den späteren Ausbrüchen einiger der tödlichsten Pandemien der Menschheitsgeschichte beitrug", sagt Dr. Joanna Bonczarowska, Erstautorin der Arbeit, die diese Forschung im Rahmen ihrer Promotion am IKMB mit Unterstützung der International Max-Planck-Research School for Evolutionary Biology (IMPRS) durchführte.

„In unserer Studie zeigen wir, dass allen bekannten Y. pestis-Stämmen vor dem 19. Jahrhundert ein bestimmtes genetisches Element, der YpfΦ-Prophage, fehlte", sagt Bonczarowska, die jetzt als Postdoc am IKMB arbeitet, wo sie auch vom Exzellenzcluster „Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI) unterstützt wird. Der Prophage wurde wahrscheinlich durch lateralen Gentransfer aus der Umwelt aufgenommen. Diese genetischen Informationen beeinflussen die Virulenz des Erregers, also die Schwere der aus einer Infektion resultierenden Krankheit. Es hat sich gezeigt, dass Y. pestis-Stämme, die den Prophagen tragen, eine deutlich geringere tödliche Dosis aufweisen als solche ohne YpfΦ. Diese Aufnahme neuer genetischer Elemente könnte also einen evolutionären Vorteil für Y. pestis während der modernen Pestpandemie darstellen.

Wie kommt die erhöhte Virulenz seit dem Mittelalter zustande?

Auf welchem Weg der Prophage zur erhöhten Virulenz des modernen Pesterregers beiträgt, ist bislang noch nicht im Detail erforscht. Frühere Studien deuten darauf hin, dass solche neuen Erbinformationen dem Erreger dabei helfen können, Körpergewebe weit entfernt vom ursprünglichen Infektionsort zu befallen. Die Kieler Forschenden haben auf der Suche nach einem solchen Mechanismus alle Proteine untersucht, die von der fraglichen neuen DNA produziert werden. Dabei entdeckten sie, dass eines dieser Proteine sehr stark einem aus anderen Krankheitserregern bekannten Giftstoff ähnelt.

„Dieses Protein gleicht in seiner Struktur dem sogenannten Zonula occludens-Toxin (ZOT), das den Austausch schädlicher Stoffe zwischen infizierten Zellen erleichtert und sich besonders im Darmbereich schädigend auf die Schleimhäute auswirkt. Dieser Zusammenhang wurde erstmals im Cholera-Erreger entdeckt und sorgt dort für die typischen Gastroenteritis-Symptome“, erklärt Bonczarowska. Die Kieler Forschenden wollen daher dieses ZOT-ähnliche Protein in Y. pestis künftig genauer erforschen, da es einen plausiblen Erklärungsansatz für die erhöhte Virulenz des Pesterregers in Gegenwart und jüngeren Vergangenheit bietet.

Evolution des Pesterregers und anderer Pathogene weiter erforschen

Eine derartig rasche Evolution von Y. pestis trägt auch in der Gegenwart zur weiter bestehenden Pandemie-Gefahr bei. „Der Erwerb neuer genetischer Elemente kann zu neuen Symptomen der Infektion führen. Diese irreführenden Krankheitszeichen können die rechtzeitige Diagnose der Pest erschweren und damit die überlebenswichtige schnelle Behandlung verzögern", unterstreicht Unterweger. „Hinzu kommt, dass einige Stämme des Pesterregers bereits Resistenzen gegen verschiedene Antibiotika aufweisen, was das Gefährdungspotenzial dieser Krankheit weiter erhöht", so Unterweger weiter.

Ein wichtiger Aspekt der Arbeit sind auch die neu entdeckten Parallelen zu anderen Bakterienarten, denn genetische Elemente, die dem YpfΦ sehr ähnlich sind, wurden auch in anderen Bakterien gefunden. Diese Erkenntnisse geben Hinweise auf ihre zukünftige Evolution in Richtung erhöhter Virulenz.

Insgesamt unterstreichen die Forschungsergebnisse, dass in der Erforschung der historischen Krankheitsevolution mittels aDNA, die Hunderte oder Tausende Jahre zurückreicht, ein großer Erkenntnisgewinn für die moderne Wissenschaft und medizinische Anwendung liegt. „Wenn wir verstehen, wie der Erreger in der Vergangenheit - manchmal durch Evolutionssprünge - seine Schädlichkeit steigern konnte, hilft uns dies dabei, neue Formen der Krankheit zu erkennen und künftige Pandemien zu verhindern“, fasst Krause-Kyora vom IKMB zusammen.

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