Wie Medikamente ins Blut gelangen
Mit dem Wissen lassen sich Medikamente, die man auch als Tablette einnehmen kann, besser entwickeln
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Neue Medikamente tun not. Antibiotika zum Beispiel: In dieser Arzneiklasse nimmt die Wirkung vieler seit Langem verwendeter Stoffe ab. Chemikerinnen und Pharmazeuten suchen fieberhaft nach neuen Substanzen, insbesondere nach solchen, die Zellmembranen durchdringen können. Denn nur Wirkstoffe, die Zellmembranen durchqueren, können Patientinnen und Patienten oral als Tablette oder Sirup einnehmen. Nur diese Wirkstoffe passieren im Dünndarm die Darmwand und gehen in den Blutstrom über, um so an ihren Wirkungsort im Körper zu gelangen. Bei Wirkstoffen, die die Zellmembran nicht durchdringen können, haben Medizinerinnen und Mediziner keine andere Wahl, als diese direkt ins Blut zu injizieren.
Grössere Moleküle mit Potenzial
Forschende versuchen daher zu verstehen, welche Moleküle Zellmembranen durchdringen können, und wie genau sie das tun. Für eine wichtige und vielversprechende Substanzklasse, jene der zyklischen Peptide, haben Chemiker:innen der ETH Zürich nun weitere Details zum entsprechenden Mechanismus entschlüsselt. «Je mehr wir über diesen Mechanismus und die Eigenschaften wissen, die ein Molekül besitzen muss, desto früher und gezielter können Forschende dies in der Entwicklung neuer Medikamente berücksichtigen», erklärt Sereina Riniker, Professorin am Departement Chemie und Angewandte Biowissenschaften. Sie hat die Studie, die im Journal of Medicinal Chemistry veröffentlicht worden ist, geleitet.
Zyklische Peptide sind ringförmige Moleküle, die deutlich grösser sind als die kleinen chemischen Moleküle («Small Molecules»), welche die Mehrzahl der heutigen Medikamente ausmachen. Doch in manchen Anwendungsgebieten kommen Chemikerinnen und Pharmazeuten mit Small Molecules an ihre Grenzen, weswegen sie sich grösseren Molekülen wie den zyklischen Peptiden zuwenden. Viele pharmazeutisch wirksame Naturstoffe gehören dieser Substanzklasse an, darunter Cyclosporin, ein seit Jahrzenten nach Organtransplantationen eingesetztes Immunsuppressivum, sowie viele Antibiotika.
Nur mit Computermodellierung möglich
Riniker und ihre Kolleg:innen konnten mithilfe einer rechenintensiven Computermodellierung aufklären, wie zyklische Peptide, die Cyclosporin ähnlich sind, eine Membran durchqueren. «Nur die Modellierung erlaubt uns solch hochaufgelöste und detaillierte Einblicke, denn es gibt keine experimentelle Möglichkeit, ein einzelnes Molekül beim Durchqueren der Membran zu beobachten», sagt Riniker.
Um den Mechanismus zu verstehen, muss man wissen, wie zyklische Peptide aufgebaut sind: Sie bestehen aus einer zentralen Ringstruktur, an der sogenannte Seitenketten hängen. Die Moleküle sind flexibel und können ihre Strukturen dynamisch verändern, um sich so ihrer Umgebung anzupassen.
Tanz durch die Zellmembran
Rinikers Simulationen decken im Detail auf, wie ein zyklisches Peptid die Membran durchdringt: Zuerst dockt das Molekül an die Membranoberfläche an und dringt dann senkrecht zur Membran in diese ein. Danach ändert es seine dreidimensionale Form und rotiert während der Durchquerung einmal um die Längsachse, ehe es die andere Seite der Membran erreicht und dort wieder austritt.
Die Formänderungen haben mit den unterschiedlichen Umgebungen innerhalb einer Zelle zu tun: Unser Körper besteht zu einem grossen Teil aus Wasser. Sowohl innerhalb als auch ausserhalb der Zellen befinden sich die biochemischen Moleküle grösstenteils in wässriger Lösung. Die Zellmembranen hingegen sind aus Fettsäuren aufgebaut. Innerhalb einer Membran herrschen daher wasserabstossende Bedingungen. «Um die Membran durchqueren zu können, ändert das zyklische Peptid seine dreidimensionale Form, um sich damit für eine kurze Zeit so wasserabstossend wie möglich zu machen», erklärt Riniker.
Molekulare Seitenketten verändern
Für die vorliegende Studie untersuchten die Forschenden acht verschiedene zyklische Peptide. Es handelt sich dabei um Modellpeptide ohne medizinische Wirkung, die von Wissenschaftler:innen der Pharmafirma Novartis für die Grundlagenforschung entwickelt wurden. Für diese Studie arbeitete Riniker daher auch mit Forschenden von Novartis zusammen.
Die neuen Erkenntnisse können nun in die Entwicklung zyklischer Peptide als neue Arzneimittel einfliessen. Riniker weist allerdings auf einen gewissen Zielkonflikt hin: Es gibt Seitenketten, dank denen ein zyklisches Peptid zwar ideal an die Membranoberfläche andocken kann, die jedoch dem Peptid das Durchqueren der Membran erschweren. Das neue Wissen hilft Forschenden, sich vorgängig zu überlegen, welche Seitenketten sie verwenden wollen und an welcher Stelle am Molekül sie am hilfreichsten sind. Das alles könnte die Medikamentenentwicklung beschleunigen, sodass die Forschende von Anfang an möglichen Wirkstoffen forschen, die als Tablette eingenommen werden können.