Wie Darmbakterien das Immunsystem austricksen

Neue Erkenntnisse darüber, wie harmlose Darmbakterien eine Immunreaktion vermeiden

13.01.2023 - Deutschland

Forschende des Max-Planck-Instituts für Biologie Tübingen beantworten die seit langem offene Frage, wie gutartige Darmbakterien vom Immunsystem toleriert werden. Damit verändern sie das bisherige Verständnis der Interaktion von Immunrezeptoren mit Flagellin. Das Forschungsteam identifizierte eine neue Flagellin-Variante in menschlichen Darmbakterien. Sie bindet an den Immunrezeptor „Toll-like Rezeptor 5“, ohne eine anschließende Entzündungsreaktion auszulösen. Der neu entdeckte Mechanismus ermöglicht dem Immunsystem gutartige Mikroben zu tolerieren und gleichzeitig gegenüber Krankheitserregern sensibel zu bleiben. Die Studie erschien in der Fachzeitschrift Science Immunology.

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Symbolbild

Der menschliche Darm ist der Lebensraum von gutartigen, nützlichen und manchmal auch schädlichen Bakterien. Um Krankheitserreger bekämpfen zu können, muss das Immunsystem zunächst die Anwesenheit mikrobieller Produkte über verschiedene Rezeptoren erkennen. Einer dieser Rezeptoren ist der Toll-like-Rezeptor 5 (TLR5), welcher Flagellin bindet. Flagellin ist das Protein, aus dem die bakterielle Geißel besteht, mit der sich Bakterien fortbewegen können. Bindet TLR5 an Flagellin, löst es eine entzündungsfördernde Immunreaktion aus. Allerdings sind Krankheitserreger nicht die einzigen Darmbewohner, die Flagellin produzieren; harmlose, auch kommensale Bakterien genannt, und nützliche Bakterien besitzen es ebenso. Daher stellt sich die Frage, wie kommensale Bakterien eine durch Rezeptorbindung ausgelöste Immunreaktion verhindern können. Manche nützliche Darmbakterien können eine Immunreaktion umgehen, indem sie ein Flagellin produzieren, welches nicht mehr an den Rezeptor binden kann. Vorhergehende Studien zeigten jedoch auch, dass von Kommensalen hergestelltes Flagellin intakte Bindestellen aufweisen kann und an den Rezeptor bindet, aber nur ein schwaches Immunsignal auslöst.

Ein internationales Forschungsteam unter Leitung von Forschenden des Max-Planck-Instituts für Biologie Tübingen hat dafür nun eine Erklärung. Die Forschenden untersuchten 116 verschiedene Flagelline auf TLR5-Aktivierung und -Bindung und stellten dabei fest, dass etwa die Hälfte nicht mit bisher beschriebenen Flagellinen vergleichbar war. Diese Flagelline zeigten eine starke Bindung an TLR5, ähnlich wie Flagelline von Krankheitserregern, lösten aber keine Entzündungsreaktion aus. Daher bezeichneten die Wissenschaftler*innen diese neue Flagellin-Variante als "stummes Flagellin". Bisher war man davon ausgegangen, dass die Bindung von Flagellinen an TLR5 für die Aktivierung der Entzündungsreaktion ausreicht. Die Entdeckung, dass kommensale Bakterien TLR5-bindende Flagelline produzieren, ohne eine Immunreaktion auszulösen, stellt das bisherige Verständnis der TLR5-Aktivierung in Frage.

"Wir wissen jetzt, dass bakterielles Flagellin auf mindestens drei verschiedene Arten mit TLR5 interagieren kann: es kann binden und eine Immunreaktion auslösen, binden ohne eine Immunreaktion auszulösen, oder aber die Immunreaktion vermeiden, indem sie nicht binden", erklärt Ruth Ley, Leiterin der Studie und Direktorin der Abteilung für Mikrobiomforschung am Max-Planck-Institut für Biologie Tübingen. "Es ist bemerkenswert, wie regulierbar die Reaktion des TLR5-Rezeptors ist", fügt Ley hinzu.

Weiterführende metagenomische Analysen zeigten, dass stumme Flagelline im menschlichen Darm sehr häufig vorkommen und daher „eine wesentliche, bisher nicht beachtete, aber physiologisch relevante Population von TLR5-Bindungsproteinen darstellen", so Sara Clasen, Erstautorin der Studie. TLR5 ist an vielen darmassoziierten Krankheiten beteiligt, spielt aber auch bei anderen Erkrankungen wie Krebs oder Neuropathie eine Rolle. Die Ergebnisse geben tiefere Einblicke in den Mechanismus der TLR5-Aktivierung und könnten daher zu einem besseren Verständnis von TLR5-abhängigen Krankheiten beitragen.

Die Studie wurde durchgeführt von Forschenden des Max-Planck-Instituts für Biologie und des Friedrich-Miescher-Laboratorium in Tübingen, des Gregor Mendel Instituts in Wien, des Center for Inflammation, Immunity and Infection der Georgia State University in Atlanta, USA und der Universität Tübingen.

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