Naturstoffe gegen Grippeviren

Wirkstoffe aus der Natur könnten künftig dazu beitragen, die Ausbreitung von Grippeviren zu hemmen

16.12.2022 - Deutschland

Fieber, Husten, Halsschmerzen und allgemeines Unwohlsein – die kalte Jahreszeit ist da, und nicht nur Corona-, sondern auch Grippeviren verbreiten sich wieder in rasantem Tempo. Influenza-A- und -B-Viren verursachen schwere, ansteckende Infektionen, die bei Komplikationen sogar tödlich enden können. Den wirksamsten Schutz gegen die sich ständig verändernden Virusstämme bietet die jährliche Impfung. Kommt es jedoch zu einer Infektion, sind bislang in den meisten Ländern, zu denen auch Deutschland zählt, nur zwei Klassen von Medikamenten zugelassen. Wissenschaftler*innen desFraunhofer-Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME in Gießen sowie des hessischenLOEWE-Zentrums für Translationale Biodiversitätsgenomik (LOEWE-TBG) sehen großes therapeutisches Potenzial in Naturstoffen, um zukünftig Influenzaviren zu hemmen, und geben dazu in einem Fachartikel neue Impulse.

Desirée Schulz/Fraunhofer IME

Dr. Kornelia Hardes (rechts) und Dr. Markus Oberpaul erforschen gemeinsam mit ihren Kolleg*innen vom LOEWE-Zentrum TBG und dem Fraunhofer-Institut IME, welche Naturstoffe Grippeviren hemmen können.

Weltweit führen die jährlichen Grippeepidemien zu schätzungsweise drei bis fünf Millionen schweren Krankheitsfällen, von denen rund zehn Prozent tödlich ausgehen. Ein Grund für diese hohen Zahlen liegt in der schnellen Mutationsfähigkeit der Influenzaviren. Sie macht es erforderlich, den Impfstoff jedes Jahr neu anzupassen. Löst jedoch wider Erwarten ein anderer oder neuartiger Virusstamm eine Epidemie oder gar eine Pandemie aus, steht zunächst kein wirksamer Impfstoff zur Verfügung, wie unter anderem in der als „Schweinegrippe“ in Erinnerung gebliebenen Pandemie im Jahr 2009, die ein Influenzavirus des Subtyps H1N1 auslöste. Nicht nur in solch dramatischen Jahren wären neue Medikamente hilfreich, um die Vermehrung der Influenzaviren einzudämmen. Bisher sind zur Therapie in zahlreichen Ländern nur M2-Kanalblocker und Neuraminidasehemmer zugelassen. Darüber hinaus finden sich bereits in einigen Ländern, zum Beispiel in den USA und Japan, weitere Präparate, die jedoch ebenfalls nur begrenzt wirksam sind – schließlich haben viele Influenzastämme bereits Resistenzen entwickelt und ihre Empfindlichkeit gegenüber diesen Wirkstoffen verloren.

Ein Team aus Wissenschaftler*innen des Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME in Gießen und des hessischen LOEWE-Zentrums für Translationale Biodiversitätsgenomik (LOEWE-TBG) plädiert daher dringlich für die Erforschung weiterer Möglichkeiten zur Behandlung einer Influenzainfektion. Dabei haben sie insbesondere die breite Palette an Naturstoffen im Blick, die von Mikroben und Tieren gebildet werden. In einem im Fachjournal „Viruses“ veröffentlichten Beitrag geben sie einen Überblick über die bisher zugelassenen Medikamente und erörtern anschließend das therapeutische Potenzial von Naturstoffen, die eine Replikation des Influenzavirus hemmen. Mit ihrer Zusammenstellung liefern sie neue Impulse für die künftige Entwicklung neuer Grippemedikamente.

Die Forscher*innen kommunizieren einen dringenden Bedarf an neuen Wirkstoffen gegen ein breites Spektrum von Influenzasubtypen. Naturstoffe hätten insbesondere auf dem Gebiet der Infektionskrankheiten bereits einen wichtigen Beitrag zur Identifizierung neuer Leitstrukturen geleistet. „Zu den aussichtsreichen Naturstoffen zählen Tiergifte, antivirale Substanzen in Pilzen und auch Bakterien, die nicht nur für Antibiotika, sondern auch für Medikamente gegen Viren interessant sind. Die enorme Vielfalt und strukturelle Komplexität machen Naturstoffe zu einem vielversprechenden Ausgangspunkt für die Erforschung und Identifizierung neuer Verbindungen, die gegen Influenzaviren wirken könnten. Mittels genomischer Analysen lassen sich weiterhin verwandte Verbindungen identifizieren und ebenfalls auf ihren antiviralen Effekt untersuchen“, erläutert Studienleiterin Dr. Kornelia Hardes. Die Leiterin einer BMBF-Nachwuchsgruppe im Bereich Infektionsforschung analysiert am Fraunhofer-Institut IME und dem LOEWE-Zentrum TBG selbst natürliche Stoffe aus Pilzen, Bakterien und Insekten, die erfolgversprechend erscheinen, um sie als Medikamente zur Behandlung von Grippeerkrankungen einsetzen zu können. „Die Tatsache, dass es keine wirklich effiziente Therapie gegen Grippe gibt, hat mich zu diesem Forschungsschwerpunkt geführt“, ergänzt die approbierte Apothekerin. Auch kombinierte Therapien mit mehreren Medikamenten werden ihrer Ansicht nach zu selten in Erwägung gezogen, obwohl Studien gute Ergebnisse zeigten.

Welche Virus-Subtypen aktuell zirkulieren, wird anhand genomischer Analysen erkannt. So ist es möglich, sowohl die Dynamik der Ausbrüche als auch die Entwicklung und Verbreitung von Resistenzen zu überwachen. Doch die Herausforderungen, aussichtsreiche Substanzen in die Entwicklung von Medikamenten zu bringen, sind groß: Unterschiedliche Analysemethoden erschweren die Vergleichbarkeit der Ergebnisse, Daten wie etwa zur Resistenzentwicklung sind nicht verfügbar. Hinzu kommen die hohen Kosten für Prüfverfahren. „Bedenkt man jedoch neben den gesundheitlichen Vorteilen auch die schwere sozioökonomische Belastung, die die mit der Erkrankung verbundenen Kosten für die Gesundheitssysteme darstellen, sind neue Medikamente dringend notwendig“, so Hardes.

Die genomische Erforschung von Naturstoffen bildet einen von vier Forschungsschwerpunkten am LOEWE-Zentrum TBG. Prof. Dr. Andreas Vilcinskas und Dr. Tim Lüddecke, ebenfalls Autoren des wissenschaftlichen Artikels, erforschen das Potenzial von Tiergiften, die zum Beispiel von Stachelrochen, Spinnen oder Schlangen produziert werden. Im Blickpunkt stehen dabei immer Überlegungen, wie sich die Ergebnisse für die weitere pharmazeutische Forschung und eine konkrete Anwendung nutzbar machen lassen.

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