Wie Zellen die richtigen Partner finden

Forschende der Universität Freiburg finden heraus, dass die Affinität zwischen Zellen komplexe Entwicklungsprozesse steuern kann

04.11.2022 - Deutschland

Während des Wachstums und der Entwicklung von Lebewesen müssen unterschiedliche Zelltypen miteinander in Kontakt kommen, um gemeinsam Gewebe und Organe zu bilden. Ein kleines Team um Prof. Dr. Anne Classen vom Exzellenzcluster CIBSS – Centre for Integrative Biological Signalling Studies der Universität Freiburg hat nun herausgefunden, dass komplexe Formveränderungen während der Entwicklung ausschließlich über die Affinität von Zellen zueinander gesteuert werden. Die Forschenden untersuchten dafür Eikammern von Fruchtfliegen (Drosophila melanogaster), und kombinierten genetische Methoden mit mathematischen Modellierungen. Die Studie ist in der Fachzeitschrift Nature Communications erschienen.

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Symbolbild

Komplexe Organisationsprozesse in der Eikammer

„Wir wollten herausfinden, wie sich unterschiedliche Zelltypen miteinander organisieren, um funktionale Einheiten zu bilden“, fasst Dr. Vanessa Weichselberger, Erstautorin der Studie und Mitglied im Labor von Classen, das Ziel ihrer Untersuchungen zusammen. „Die Eikammer ist dafür ein gutes Beispiel, denn in ihr müssen unterschiedliche Zellpopulationen entsprechend ihrer Funktion zusammenfinden.“ Die Eikammer ist die Struktur, in der eine Eizelle heranreift, bis sie bereit für die Befruchtung ist. Bei Drosophila ähnelt sie einem winzigen Football: Im Inneren liegt auf einer Seite die wachsende Eizelle und auf der anderen Seite 15 Ammenzellen, die die Eizelle mit Nährstoffen versorgen. Um ein Ei zu produzieren, muss die Eizelle heranreifen, während die Ammenzellen schlussendlich abgebaut werden.

Beide Prozesse, die Reifung der Eizelle und der Abbau der Ammenzellen, sind von einer äußeren Schicht aus Epithelzellen abhängig. Die Epithelzellen sind dafür in spezialisierte Gruppen unterteilt, die aufgrund ihrer Funktion entweder mit den Ammenzellen oder der Eizelle in Kontakt sein müssen. Diese Partnerfindung zwischen den inneren und den äußeren Zellen ist ein komplexer Vorgang, der stattfindet, während sich gleichzeitig die Größenverhältnisse im Inneren stetig verändern. „Welche Mechanismen einen so dynamischen Prozess robust steuern können, war bisher nicht bekannt“, sagt Classen.

Eya kontrolliert den Zusammenhalt von Zellen

Die Forschenden hatten beobachtet, dass sich die Epithelzellen, die auf den Abbau der Ammenzellen spezialisiert sind, auf diesen ausbreiten und abflachen. Dabei bilden sie eine besonders große Kontaktfläche mit den Zellen darunter. „Das könnte durch eine erhöhte Affinität zwischen den beiden Zelltypen erklärt werden“, erklärt Weichselberger. „Wir stellten daher die Hypothese auf, dass sich die Partnerfindung durch einfache mechanische Anziehungs- bzw. Abstoßungsprozesse erklären lässt.“ Eine erhöhte Affinität von einem spezialisierten Teil der Epithelzellen zu den Ammenzellen würde dann dazu führen, dass die restlichen Epithelzellen von den Ammenzellen verdrängt werden und in Kontakt mit der Eizelle kommen. Die Forschenden fanden, dass Eya, ein Protein, das die Aktivität von Genen kontrollieren kann, das Kontaktverhalten zwischen den Epithel- und Ammenzellen beeinflusst. Erhöhten die Forschenden die Konzentration von Eya in Epithelzellen, vergrößerten diese ihre Kontaktfläche mit Ammenzellen, schalteten sie Eya aus, minimierte sich die Kontaktfläche.

Die Affinität von Zellen ist entscheidend für die Entwicklung

Um ihre Hypothese zu testen, nutzten die Entwicklungsbiologinnen mathematische Modellierungen. Dafür arbeiteten sie mit Prof. Dr. Patrick Dondl von der Fakultät für Mathematik und Physik der Universität Freiburg zusammen. Dondl erstellte Computermodelle, in denen sich unterschiedlich starke mechanische Affinitäten zwischen den Zellen simulieren lassen.  „Durch die mathematischen Modellierungen konnten wir zeigen, dass eine Affinitätsveränderung abhängig von Eya Levels ausreicht, um den komplexen Prozess der Partnerfindung zu steuern“, erklärt Weichselberger. „Das bedeutete, dass wir Eya als Stellschraube nutzen konnten, um die Partnerfindung genetisch zu kontrollieren.“

„Extrem flexibel und robust“

Indem sie die Eya-Konzentrationen in Epithelzellen genetisch veränderten und diese Versuche parallel dazu im Computer simulierten, konnten die Forschenden testen, ob die Eya-regulierte Affinität zwischen Epithelzellen und Ammenzellen für die Partnerfindung verantwortlich ist. Sie fanden, dass sich allein durch die Manipulation von Eya gezielt kontrollieren lässt, welche Epithelzellen sich auf den Ammenzellen ausbreiteten, und welche Epithelzellen mit der Eizelle in Kontakt kommen. Das zeigte, dass Eya durch die Regulierung der Affinität der Hauptregler der Partnerfindung zwischen Epithelzellen und Ammenzellen beziehungsweise Eizelle ist. Das überraschte auch Classen, die die Studie leitete: „Die spezifische Affinität reicht als Mechanismus tatsächlich aus, um solche komplexen Entwicklungsvorgänge zu steuern. Und das extrem flexibel und robust, unabhängig vom Volumen der Eikammer.“

Ähnliche Prozesse im Männchen

Dieser Mechanismus ist nicht ausschließlich auf die Eikammer beschränkt: Die Entwicklung von Samenzellen im Drosophila Männchen ist ebenfalls von Eya abhängig, das auch hier die Affinität zwischen den inneren Samenzellen und äußeren Epithelzellen steuert. Ob die Ergebnisse auch auf andere Tiere oder den Menschen übertragbar sind, ist unklar. Aber die vergleichbare Struktur und Entwicklung der Eikammer in anderen Spezies lässt das möglich erscheinen.

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