Algen als mikroskopische Bioraffinerien
Chemikerin der Universität Konstanz gelingt ein Schlüsselschritt zur Produktion nachhaltiger Chemikalien in lebenden Mikrofabriken
© AG Mecking
Um nachwachsende Rohstoffe – wie zum Beispiel Pflanzenöle – für die Produktion von Chemikalien verwenden zu können, müssen diese zuvor aufbereitet und teilweise chemisch umgewandelt werden. Dieser Vorgang wird in der Industrie allgemein als Raffinierung bezeichnet. Bisher war es hierfür vorbereitend erforderlich, die Bio-Rohstoffe mit aufwändigen Verfahren aus den Zellen, in denen sie erzeugt wurden, zu extrahieren und abzutrennen. Erst danach konnte die Aufwertung und Weiterverarbeitung stattfinden.
Den Propheten zum Berg gebracht
Die Doktorandin Natalie Schunck und Professor Stefan Mecking vom Fachbereich Chemie der Universität Konstanz haben nun eine Möglichkeit eröffnet, den Schritt der Aufwertung nachhaltiger Rohstoffe deutlich effizienter zu gestalten. Es ist ihnen erstmalig gelungen, geeignete synthetische Katalysatoren, also Stoffe, welche die gewünschten Aufwertungsreaktionen bewirken, in einzellige Kieselalgen einzuschleusen – und zwar dorthin, wo diese ihre Lipide erzeugen und speichern.
In ihrem aktuellen Fachartikel in Angewandte Chemie beschreiben die beiden, wie der Transport der Katalysatoren an ihren Bestimmungsort gelang. Sie bringen zusätzlich den Nachweis, dass der verwendete Katalysator in den Fettspeichern der Algenzellen stabil bleibt und dort die gewünschte Funktion erfüllt: die Umwandlung der ungesättigten Fettsäuren der Algenzellen zu modifizierten, langkettigen Bausteinen, die sich für die Herstellung nachhaltiger Chemikalien eignen. „Durch das Einschleusen der Katalysatoren ist es gelungen, die Maschinerie der Algen um eine chemische Reaktion zu erweitern, die in der Natur nicht vorkommt, für die Aufwertung von Ölen und Fetten in der rohstoffverarbeitenden Industrie jedoch höchst relevant ist – die sogenannte Olefinmetathese. Die Algenzellen könnten damit quasi zu winzigen Raffinerien umfunktioniert werden “, fasst Mecking zusammen.
Bindung von atmosphärischem Kohlenstoffdioxid
Mit der Wahl von Mikroalgen hat es sich Schunck dabei nicht gerade einfach gemacht, denn die verwendeten Algen haben eine Zellwand, die es zu überwinden galt. Um ihren Katalysator dennoch zu seinem Bestimmungsort zu schleusen, bediente sie sich eines Tricks: Sie koppelte den Katalysator an einen Farbstoff, der normalerweise zum Anfärben der Lipid-Speicher der Algenzellen verwendet wird. Damit konnte sie bewirken und auch beobachten, dass der Katalysator diese zielsicher erreicht. „Das Gelingen dieser herausfordernden Untersuchungen ist allein der herausragenden Arbeit von Frau Schunck zu verdanken. Dass sie durch ihr Life-Science-Studium chemische Expertise und fundiertes biologisches Fachwissen in einer Person vereint, war dabei eine wichtige Grundlage“, konstatiert Mecking.
Der entscheidende Vorteil der Algen liegt auf der Hand: Sie sind photoautotroph, nutzen also atmosphärisches Kohlenstoffdioxid als Kohlenstoffquelle und Sonnenlicht als Energiequelle für die Photosynthese komplexer chemischer Verbindungen, wie ihrer Fettsäuren. Das macht sie zu vielversprechenden Kandidaten, wenn es um die Suche nach erneuerbaren Rohstoffproduzenten geht. „Durch die Erweiterung des Funktionsspektrums der Algen ist nun sogar deren langfristige Nutzung als lebende Mikrofabrik für nachhaltige Chemikalien ein gutes Stück näher gerückt“, schließt Mecking.