Einzelne Zellen sind schlauer als gedacht

25.07.2022 - Schweiz

Menschen treffen Entscheidungen aufgrund der Informationen aus den Sinnesorganen, die das Gehirn zu einer ganzheitlichen Wahrnehmung integriert. Doch wie entscheiden einzelne Zellen? Viel autonomer als bisher angenommen, wie Forschende der Universität Zürich nun zeigen. Zellen stützen sich bei ihren Entscheiden auf Signale von aussen, berücksichtigen aber auch Informationen aus dem Zellinneren. Was mitunter zu behandlungs-resistenten Krebszellen führt.

Photo by National Cancer Institute on Unsplash

Jeder Mensch trifft ständig Entscheidungen. Dafür braucht es zahlreiche Informationen, die von unseren Sinnen geliefert werden. Sie nehmen einzelne Aspekte unserer Umwelt wahr, etwa visuelle und akustische Informationen, die unser Gehirn anschliessend in eine ganzheitliche Wahrnehmung integriert. Dies wird als multisensorische – oder multimodale – Wahrnehmung bezeichnet.

Zellen berücksichtigen bei Entscheiden ihren eigenen Zustand

Einzelne Zellen unterscheiden sich in dieser Hinsicht nicht vom Menschen. Sie treffen ständig wichtige Entscheidungen, etwa ob sie sich teilen oder nicht. Forschende der Universität Zürich (UZH) haben deshalb das Konzept der kontextuellen, multimodalen Wahrnehmung des Menschen auf einzelne Zellen übertragen. Und sie fanden heraus, dass einzelne Zellen Entscheidungen viel autonomer treffen als bisher angenommen. «Eine adäquate Entscheidungsfindung einzelner Zellen beruht auf einer multimodalen Wahrnehmung. Sie ermöglicht es den Zellen, Signale von aussen wie Wachstumsfaktoren mit Informationen aus dem Zellinneren wie der Anzahl bestimmter Zellorganellen zu integrieren», sagt Lucas Pelkmans, Professor am Institut für Molekulare Biologie der UZH.

In bestimmten Situationen können solche inneren Hinweise die äusseren Reize überlagern: etwa bei Tumoren, wo der aktuelle Zustand bestimmter Zellen die Behandlung mit wachstumshemmenden Medikamenten überlagert und sie so behandlungsresistent macht. «Solche Resistenzen gegen Medikamente sind ein grosses Problem im Kampf gegen den Krebs. Eine mögliche Lösung wäre, die kontextuellen Hinweise, die einzelne Zellen erfahren, zu berücksichtigen und letztlich zu verändern», sagt Pelkmans.

Dutzende von Proteinen in Millionen von Zellen gleichzeitig analysieren

Um zu testen, ob Zellen so wie Menschen nach multimodaler Wahrnehmung der jeweiligen Situation entscheiden, mussten die Forschenden gleichzeitig die Aktivität mehrerer äusserer Sensoren sowie etliche potenzielle Inputs aus dem Inneren der Zelle – etwa die lokale Umgebung und die Anzahl der Zellorganellen – messen. All dies musste parallel sowohl in einzelnen Zellen als auch in Millionen von Zellen analysiert werden. «Wir haben dazu die an der UZH entwickelte Methode ‹4i› verwendet. Sie erlaubt es, bis zu 80 verschiedene Proteine und Eiweissmodifikationen in einzelnen Zellen mittels Fluoreszenzmikroskopie gleichzeitig sichtbar zu machen und zu quantifizieren», sagt Bernhard Kramer, Erstautor der Studie.

Die Forschenden fanden heraus, dass in den einzelnen Zellen die unterschiedlichen Aktivitäten einzelner Aussensensoren eng mit der Variation interner Signale verbunden ist. So beeinflusst beispielsweise die Anzahl der Mitochondrien – die Kraftwerke der Zellen – grundlegend, wie ein äusserer Reiz von einer Zelle wahrgenommen wird. Ausserdem integriert jeder Sensor unterschiedliche Signale aus dem Zellinneren. Die Wissenschaftler untersuchten anschliessend eine wichtige Entscheidung einer einzelnen Zelle: Soll sie sich auf einen Wachstumsreiz hin vermehren oder ruhend bleiben? Sie stellten fest, dass die Entscheidung der Zelle davon abhängt, was sie von mehreren Sensoren wahrnimmt. Und diese Wahrnehmung kann durch Signale vom inneren Zellzustand vorhersehbar beeinflusst werden.

Zellen entscheiden intelligent

«Für jede spezifische Entscheidung einer Zelle müssen alle äusseren Signale und internen Hinweise zusammen betrachtet werden. Einzelne Zellen sind also in der Lage, adäquate kontextabhängige Entscheidungen zu treffen – und sind somit deutlich intelligenter als bisher angenommen», sagt Doktorand Kramer.

Originalveröffentlichung

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