mRNA-Pionierin Katalin Karikó erhält Europäischen Erfinderpreis 2022 für ihr Lebenswerk

Ihre Forschungsarbeit über modifizierte mRNA ebnete den Weg zu hochwirksamen Impfstoffen gegen COVID-19

23.06.2022 - Deutschland

Das Europäische Patentamt (EPA) hat der ungarisch-amerikanischen Forscherin Katalin Karikó den Europäischen Erfinderpreis 2022 in der Kategorie „Lebenswerk" für ihre bahnbrechenden Arbeiten zur Entwicklung modifizierter Boten-RNA (mRNA) für Impfstoffe und medizinische Therapien verliehen.

Photo copyright European Patent Office

Katalin Karikó, winner of the European Inventor Award 2022 in the category “Lifetime achievement”. Award accepted on her behalf by Gabor Szabó, Associate Director at BioNTech, at the hybrid award ceremony on 21 June 2022.

Mehr als vier Jahrzehnte lang hat sich Karikó für das therapeutische Potenzial von mRNA eingesetzt und dabei sowohl Skepsis als auch zahllose Herausforderungen überwunden, um deren wirksame Nutzung für den Menschen zu erschließen. Ihre Arbeit ebnete nicht nur den Weg für die erfolgreichsten mRNA-basierten COVID-19-Impfstoffe, sondern öffnet auch die Tür zu neuen Therapien für viele andere Krankheiten und Leiden.

„Dank ihrer Vision, dass mit dem mRNA-Molekül ein signifikanter medizinischer Nutzen erzielt werden könnte, hat Katalin Karikó eine Wirkung erzeugt, die weit über den inzwischen gut dokumentierten medizinischen Erfolg hinausgeht", sagt EPA-Präsident António Campinos. „Ihr Engagement für die Wissenschaft und ihre Beharrlichkeit gepaart mit der innovativen Qualität ihrer Forschung haben der Welt eine bahnbrechende Innovation gebracht, die im Kampf gegen einige der schlimmsten medizinischen Bedrohungen der Menschheit das Potenzial für ganz neue Perspektiven birgt."

Karikó wurde bei der Verleihung des Europäischen Erfinderpreises 2022 geehrt, einer hybriden Veranstaltung, die von einem weltweiten Publikum online verfolgt wurde. Der Preis ist einer der renommiertesten Innovationspreise Europas und wird jährlich an herausragende Erfinder aus Europa und darüber hinaus verliehen, die einen außergewöhnlichen Beitrag zur Gesellschaft, zum technischen Fortschritt und zum Wirtschaftswachstum geleistet haben.

Bescheidene Anfänge

Karikós Forschungslaufbahn ist geprägt von ihrem Engagement, das Potenzial des mRNA-Moleküls medizinisch zu nutzen. Geboren in einer kleinen Stadt im ländlichen Ungarn, führten ihr frühes Interesse an Biologie und ihr Wissensdurst dazu, dass sie die Aufnahmeprüfungen für die Universität Szeged bestand und sich dem hochmodernen Biologischen Forschungszentrum (BRC) der Ungarischen Akademie der Wissenschaften anschloss. 1985 verließ sie zusammen mit ihrem Mann Ungarn und ging in die USA, um eine Stelle an der Temple Universität in Philadelphia anzutreten. Dort versuchte sie drei Jahre lang, doppelsträngige RNA zur Behandlung von HIV-Patienten einzusetzen. Anschließend nahm sie ein weiteres Angebot in Bethesda, Maryland, an, wo sie sich eingehend mit den neuesten Erkenntnissen zu mRNA befasste, einem Molekül, das die Informationen für den Aufbau von Proteinen von der DNA einer Zelle zu ihren Molekülbausteinen transportiert.

Das Potenzial von mRNA erkennen

Seit 1990 wussten Wissenschaftler, dass die Injektion synthetischer mRNA in den Körper die Produktion spezifischer Proteine auf Abruf bewirken kann. Sehr schnell wurde Karikó das Potenzial der mRNA klar:

„Ich stellte mir sofort vor, dass mRNA nützlich sein könnte, und dachte an etwas sehr einfaches, wie die Wundheilung", sagt sie. „Also begann ich, eine andere RNA herzustellen, die für die Produktion eines Proteins sorgt, von dem bereits bekannt war, dass es die Wundheilung beschleunigt und sich später auch ohne eine Vernarbung schließt."

Als ihr 1989 eine Stelle an der Universität von Pennsylvania (UPenn) angeboten wurde, richtete sie ihren Forschungsschwerpunkt auf dieses Molekül. Da es sich bei mRNA jedoch um eine instabile Verbindung handelt, war es kompliziert mit diesem Molekül zu arbeiten und die Entwicklungskosten führten dazu, dass sie in den 1990er Jahren die Gunst der wissenschaftlichen Gemeinschaft verlor. Karikó konnte keine Finanzierung mehr für ihre mRNA-Arbeiten erhalten und ihre Position an der Fakultät wurde zurückgestuft. Trotzdem entschied sie sich dazu, als leitende Forscherin an der UPenn zu bleiben - eine Entscheidung, die sich auszahlen sollte: 1997 fand sie in dem neu verpflichteten Immunologen Drew Weissman einen Verbündeten. Gemeinsam arbeiteten sie an einem therapeutischen HIV-Impfstoff auf mRNA-Basis, für den sie ein nukleosidmodifiziertes mRNA-Molekül entwickelt hatten.

Dies markierte den Wendepunkt: Mit weiteren Arbeiten zur Reinigung der mRNA gelang es Karikó und Weissman, ein breites Spektrum von Szenarien zu erschließen, in denen das Molekül für die Behandlung von Krankheiten und für Impfungen eingesetzt werden könnte. Sie meldeten 2005 die bahnbrechenden Patente für ihre Arbeit an, die den Weg zur Kommerzialisierung der modifizierten mRNA durch das von Karikó und Weissman 2006 gegründete Unternehmen RNARx ebneten. Die Universität von Pennsylvania verkaufte die Lizenzen jedoch an ein anderes Unternehmen: „Ohne das Patent waren wir kein richtiges Unternehmen", sagt Karikó. „Aber ich habe zu diesem Zeitpunkt beschlossen, dass ich noch nicht fertig bin."

Der Kampf gegen COVID-19

Den medizinischen Durchbruch erzielte Karikó, als sie 2013 zu BioNTech nach Deutschland wechselte. BioNTech führte zu diesem Zeitpunkt eine klinische Studie mit mRNA durch und das Unternehmen wurde von ihr überzeugt, nukleosidmodifizierte mRNA einzusetzen. Außerdem konnte sie einen Vertrag mit Sanofi abschließen, um die modifizierte mRNA weiterzuentwickeln, so dass diese direkt in Tumore injiziert werden kann, um krebsspezifische Immunreaktionen zu fördern. Parallel arbeitete sie mit Pfizer an einem mRNA-basierten Grippeimpfstoff, als Ende 2019 die ersten Nachrichten über COVID-19 bekannt wurden.

BioNTech wechselte daraufhin umgehend von der Grippe zu COVID-19, indem es den Impfstoff an die genetische Sequenz des neuartigen Coronavirus anpasste - und kam zügig in die Testphase zur Einführung mit Pfizer. Ein anderer, nukleosidmodifizierter mRNA-basierter COVID-19-Impfstoff des US-Unternehmens Moderna, der etwa zur gleichen Zeit zugelassen wurde, basiert ebenfalls auf der Technologie von Karikó and Weissman.

Ein Feld mit wachsendem Potenzial

Über COVID-19 hinaus hat Karikós Forschung den Weg für ein breites Spektrum medizinischer Behandlungen auf der Grundlage modifizierter mRNA geebnet. Es gibt Bestrebungen, therapeutische Impfstoffe für verschiedene Krebsarten sowie Behandlungen für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Stoffwechselstörungen zu entwickeln. Die Wissenschaftlerin selbst hat eine Liste von etwa 30 Therapien auf der Grundlage modifizierter mRNA erstellt, die sie gerne entwickeln würde. Diese Herausforderungen fügen sich ein in eine Karriere, die von Anfang an darauf basierte, ein Ziel beharrlich zu verfolgen und sich von Hindernissen nicht beirren zu lassen. „Man muss lernen, den negativen Stress in positiven Stress umzuwandeln, und das war meine Einstellung", sagt sie. „Es spielte keine Rolle, was die Leute sagten. Wenn es konstruktiv war, habe ich zugehört, den Rest habe ich absolut ignoriert. Mit dieser Einstellung kann man es schaffen."

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