Fitness ist auch eine Frage des Timings

Molekulare Taktgeber für die innere Uhr der „grünen Lebenslinie“ untersucht

07.04.2022 - Deutschland

Alles Leben auf der Erde verläuft im 24-Stunden-Takt: Von den kleinsten Bakterien bis zu den Menschen passen sich Organismen an den Wechsel von Tag und Nacht an. Dabei helfen ihnen die Wahrnehmung äußerer Faktoren, wie Licht und Temperatur, und deren Wechsel im Tag-Nacht-Verlauf. Zusätzlich werden Stoffwechselprozesse von einer inneren Uhr gesteuert. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Jena haben jetzt die molekularen Taktgeber der inneren Uhr in der „grünen Lebenslinie“ untersucht. In einer aktuellen Publikation im Fachmagazin „Plant Physiology“ gibt das Team um Prof. Dr. Maria Mittag vom Matthias-Schleiden-Institut einen Überblick über deren genetische Grundlagen.

Jens Meyer/Uni Jena

Doktorandin Anxhela Rredhi von der Universität Jena zeigt Kulturen der Grünalge Chlamydomonas reinhardtii: links den Wildtyp und rechts eine Mutante ohne ein bestimmtes Cryptochrom. Die mutierten Algen enthalten deutlich mehr grünen Farbstoff.

Die „grüne Lebenslinie“ umfasst Grünalgen, Moose, Farne, Nacktsamer und Blütenpflanzen. Diese Organismen produzieren einen wesentlichen Anteil des Sauerstoffs auf der Erde und sind somit für alle anderen Lebewesen von grundlegender Bedeutung. Die Fotosynthese dieser grünen Organismen – die Umwandlung von CO2 und Wasser in Glukose und Sauerstoff – ist von Licht abhängig und damit ist ein gutes Timing dieser Prozesse entscheidend. Denn: Pflanzen, die sich auf die Tageslichtperiode bereits vor Sonnenaufgang vorbereiten und diese effektiv ausnutzen, können die Fotosynthese und andere Stoffwechselwege optimal betreiben. Sie wachsen dadurch besser und haben einen Überlebensvorteil gegenüber anderen. „Die Fitness der Fotosynthese betreibenden Organismen hängt also auch davon ab, wie gut ihre innere Uhr funktioniert“, sagt Maria Mittag. Die Professorin für Allgemeine Botanik und ihr Team sind daher der Frage nachgegangen, wie sich die innere Uhr im Laufe der Evolution der grünen Organismen entwickelt hat. Dafür haben die Forschenden die Gene von unterschiedlichen Modellorganismen aus der grünen Abstammungslinie untersucht: angefangen von Einzellern, wie der Grünalge Chlamydomonas reinhardtii, über das Brunnenlebermoos Marchantia polymorpha bis zu höheren Pflanzen, wie der Acker-Schmalwand Arabidopsis thaliana.

Cryptochrome sind in der Evolution „konserviert“

Dabei konnten sie feststellen, dass es einige Gene für den inneren Tagesrhythmus gibt, die in allen untersuchten Organismen der grünen Lebenslinie vorkommen, während sich andere Gene deutlich unterscheiden. Zu den über die Evolution hinweg „konservierten“ Genen der inneren Uhr gehören die sogenannten Cryptochrome. Das sind Rezeptormoleküle, mit denen Landpflanzen blaues Licht wahrnehmen können. „Cryptochrome sind für die Synchronisation bzw. die Steuerung der inneren Uhr von zentraler Bedeutung und sie haben diese Rolle nicht nur in Landpflanzen und Algen, sondern auch in Pilzen, Insekten und Säugetieren“, berichtet Dr. Jan Petersen aus dem Forschungsteam und Erstautor der aktuellen Übersichtsarbeit. Bisher wurden im Team von Maria Mittag die Cryptochrome am Modellorganismus Chlamydomonas reinhardtii untersucht, dessen Genom sogar vier verschiedene Cryptochrome kodiert. Während zwei dieser Cryptochrome an der inneren Uhr beteiligt sind, war die Funktion der beiden anderen noch unbekannt.

Um die Rolle eines der Cryptochrome mit unbekannter Funktion genauer zu analysieren, hat das Jenaer Forschungsteam Algenzellen und speziell gezüchtete Mutanten verglichen, bei denen das Gen für dieses Rezeptormolekül ausgeschaltet wurde. „Wir konnten feststellen, dass die mutierten Algen deutlich langsamer wachsen und sich insgesamt nicht so gut vermehren wie die normalen Algenzellen“, berichtet Doktorandin Anxhela Rredhi.

Das neu untersuchte Cryptochrom beeinflusst Zellstrukturen, die für die Fotosynthese verantwortlich sind

„Was uns aber überraschte, war, dass die mutierten Algen deutlich mehr grünen Farbstoff aufweisen als die normalen Algen“, sagt Anxhela Rredhi. Mehr Farbstoff in Form der Pigmente hätte eigentlich eine bessere Fotosynthese und somit besseres Wachstum zur Folge haben sollen, da diese Moleküle das Licht für die Fotosynthese einfangen. Doch die Forschenden fanden eine Erklärung. In elektronenmikroskopischen Aufnahmen der Algen konnten sie sehen, dass die Zellmembranen, in denen die Fotosynthese abläuft, ohne das Cryptochrom viel dichter gepackt sind, als in normalen Zellen. „Dadurch erscheint die Alge zum einen in dunklerem Grün“, erklärt Dr. Petersen. „Zum anderen führt dies dazu, dass sich die Zellen gegenseitig mehr beschatten und somit einfach weniger Licht in den inneren Membranen ankommt, was sich negativ auf ihr Wachstum auswirkt.“

Wie genau das neu untersuchte Cryptochrom die Form und damit die Funktion der Zellstrukturen beeinflusst, ist derzeit noch unklar. Ob es auch eine Rolle bei der inneren Uhr spielt, wird aktuell untersucht.

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