Künstliche Virus-Partikel zur Erforschung des Coronavirus
Forschende entdecken mit Hilfe minimalistischer Sars-CoV-2-Virionen einen Faltmechanismus des Spike-Proteins
© Max-Planck-Institut für medizinische Forschung / Oskar Staufer
Die Sars-CoV-2-Pandemie war und ist eines der größten globalen Gesundheitsprobleme. Die Pathogenese von Sars-CoV-2 und den molekularen Mechanismen hinter der Infektion vollständig aufzuklären bietet große Chancen zur Überwindung der Pandemie. Das Wissen um virale Funktionen und den Wirt-Virus-Wechselwirkungen wird die Entwicklung zielgerichteter Therapien, Impfstoffe oder anderer vorbeugender Maßnahmen erleichtern.
Die Erforschung von Sars-CoV-2 im Labor ist jedoch mit vielen Herausforderungen verbunden. Dazu zählen unter anderem die erhöhten Sicherheitsanforderungen für Experimente. Es ist auch kritisch, einzelne Mechanismen während der Infektion separat betrachten zu können, um diese Prozesse besser zu verstehen.
Entwicklung künstlicher Sars-CoV-2-Virionen
Forschende am Max-Planck-Institut für medizinische Forschung und ihre Kollaborationspartner nutzten ihre Expertise in der Synthetischen Biologie, um einige dieser Herausforderungen zu meistern. Für ihre Studie entwickelten sie künstliche Sars-CoV-2-Virionen. Die Virionen haben eine ähnliche Struktur wie natürliche Viren, enthalten jedoch keine genetische Information. Daher können sie sicher verwendet werden.
„Noch wichtiger war für uns, da wir diese synthetischen Virionen von Grund auf neu bauen, dass wir ihre Zusammensetzung und Struktur genau bestimmen können. Das ermöglicht uns eine sehr systematische, schrittweise Untersuchung verschiedener Mechanismen“, sagt Oskar Staufer, Erstautor der Publikation, ehemaliger Postdoc am Max-Planck-Institut und aktuell Postdoc an der Universität Oxford. Er sieht deshalb großes Potenzial in der Verwendung der synthetischen, virusähnlichen Partikel in einer Vielzahl von Analyse- und Charakterisierungsexperimenten, auch über die aktuelle Anwendung für Sars-CoV-2 hinaus.
Entgeht das Spike-Protein dem Immunsystem dank eines Faltmechanismus?
In einem nächsten Schritt verwendeten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die künstlichen Virionen um die Wirkung von bestimmten Fettsäuren auf das Spike-Protein von Sars-CoV-2 zu untersuchen. Diese Fettsäuren werden bei jeder Entzündung im Körper freigesetzt und helfen, die Immunantwort und Heilungsprozesse zu steuern.
Das Spike-Protein ist entscheidend für die Wirt-Virus-Interaktion. Einerseits nutzt das Virus das Spike-Protein, um an die ACE2-Rezeptoren der Wirtszellen zu binden. Dadurch kann das Virus mit der Wirtszelle verschmelzen und seine Erbinformation freisetzen. Andererseits können vom Wirt produzierte Antikörper an das Spike-Protein binden und so das Virus als Angriffspunkt für das Immunsystem markieren.
Bisher war bekannt, dass das Spike-Protein eine bestimmte Region besitzt, in der Fettsäuren binden können. Die Funktion dieser Bindungstasche war jedoch noch unbekannt. Forschende des Max-Planck-Instituts für medizinische Forschung und Kollegen in Bristol nutzten nun die künstlichen Sars-CoV-2-Virionen, um genau diesen Mechanismus zu untersuchen. Sie zeigten, dass das Spike-Protein bei der Bindung einer Fettsäure seine Form ändert und sich „zusammenfaltet“. Dadurch ist eine Bindung an den ACE2-Rezeptor des Wirts nicht mehr möglich und es können weniger Antikörper an das Protein binden.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können nun erforschen, warum dieser Faltmechanismus vom Virus verwendet wird, und feststellen, ob diese Informationen zur Entwicklung therapeutischer Strategien verwendet werden können. „Durch das „Zusammenfalten“ des Spike-Proteins bei der Bindung von Fettsäuren wird das Virus für das Immunsystem weniger „sichtbar“.
Dies könnte ein Mechanismus sein, um eine Erkennung durch den Wirt und eine starke Immunantwort über einen längeren Zeitraum zu vermeiden und die Effizienz der Infektion insgesamt zu erhöhen“, sagt Oskar Staufer. Die Forschung steht hier erst am Anfang, aber die Verwendung künstlicher Virionen bietet eine neue Möglichkeit, die Funktion des Faltmechanismus aufzuklären. „Solche Konzepte der Synthetischen Biologie auf ein Problem mit globaler Tragweite anzuwenden, ist wirklich spannend!“, sagt Oskar Staufer.
Das Max Planck-Bristol Centre for Minimal Biology
Das gemeinsame Forschungszentrum der Max-Planck-Gesellschaft und der Universität Bristol konzentriert sich auf das Gebiet der synthetischen und minimalen Biologie. Hier wollen Forschende künstliche Zellen und Zytoskelette konstruieren und molekulare Maschinen im Nanomaßstab entwickeln, um die für das Leben notwendigen Bausteine zu untersuchen. Die enge Zusammenarbeit hat in der Vergangenheit zu vielen spannenden Erkenntnissen geführt und bietet ein großes Potenzial, sich optimal zu ergänzen, um in Zukunft weitere wissenschaftliche Fortschritte zu machen.