Aschenputtel der chemischen Biologie

Kleine, bisher weitgehend unbeachtete Moleküle besitzen regulatorische Funktionen beim Stressabbau

25.02.2022 - Deutschland

Lebende Organismen produzieren eine Fülle kleiner Molekülverbindungen. Obwohl man mittlerweile weiß, dass sie eine wichtige Rolle in Lebewesen spielen, sind ihre Funktionen weitgehend unbekannt. Um diese Wissenslücke zu schließen, und weil kleine Moleküle über die Bindung mit Proteinen wirken, entwickelte die Gruppe um Aleksandra Skirycz am Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie eine neuartige Strategie zur Identifizierung solcher Protein-Molekül-Komplexe. Eine wichtige Gruppe kleiner Moleküle, die im Rahmen dieser neuartigen Strategie identifiziert werden konnte, sind 2',3'-cAMP-Nukleotide, die Produkte des
RNA-Abbaus darstellen und offensichtlich eine wichtige Rolle bei der Regulation von Stressreaktionen spielen.

Dr. Monika Chodasiewicz

Schematische Darstellung der Auswirkungen einer 2‘,3‘-cAMP-Behandlung auf A. thaliana auf der Ebene der Transkriptomik, Proteomik und Metabolomik. 2‘, 3‘-cAMP ruft die gleichen Veränderungen in der Pflanze hervorruft wie abiotischer Stress.

Bei ungünstigen Bedingungen reagieren Lebewesen - egal ob Bakterium, Pflanze, Tier oder Mensch - mit Stress. Chronischer Stress beim Menschen führt zu negativen Effekten auf den Stoffwechsel, das Immun- und kardiovaskuläre System und beeinträchtigt die Schlafregulierung, Lern-, Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsprozesse. Pflanzen gelten als gestresst, wenn es zu einer Beeinträchtigung des Pflanzenwachstums oder der Vermehrungsfähigkeit kommt. Bei ihnen wird Stress häufig verursacht u.a. durch Trockenheit, Hitze, Frost, versalzte Böden oder Nährstoffmangel. Grund genug genauer zu erforschen, welche Prozesse bei Stress im Innern von Lebewesen ablaufen und welche Vorgänge entscheidend sind. Dieses Wissen könnte zukünftig Pflanzen dabei helfen besser mit Stress zurechtzukommen, was sich bei Nutzpflanzen positiv auf die Pflanzenqualität und die Erträge auswirken würde. In der Vergangenheit konnte bereits gezeigt werden, dass Stress zu einer Anreicherung von 2',3'-zyklischen Nukleotiden (kleine RNA-Moleküle) führt. Diesem Sachverhalt wurde bisher nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt, da es sich bei diesen Molekülen um ein Zwischenprodukt des RNA Abbaus handelt, dem bisher keine Funktion zugerechnet werden konnte.

Monika Chodasiewicz, bis vor kurzem Postdoc am Max-Planck-Institut für molekulare Pflanzenphysiologie in Potsdam-Golm in der Arbeitsgruppe von Aleksandra Skirycz, nun Professorin an der King Abdullah Universität (KAUS) in Saudi-Arabien, erläutert dazu: „Seit unseren Forschungsergebnissen aus dem Jahr 2018, die bereits darauf hinwiesen, dass 2',3'-cAMP eine regulatorische Funktion bei der Bildung von Stressgranula (SG) haben könnte, waren wir uns sicher, dass es mehr als das geben muss.“ Unter Stressgranula versteht man dichte Anhäufungen von Proteinen und RNAs im Zytosol, die entstehen, wenn die Zelle unter Stress steht. Die beiden Wissenschaftlerinnen vermuteten seither, dass 2',3'-cAMP als Signalmolekül dienen könnte, um molekulare Veränderungen als Reaktion auf Stress auszulösen. In der Tat konnten sie in der nun vorliegenden Arbeit mit Hilfe eines Omic-Ansatzes in Kombination mit Zellbiologie nachweisen, dass durch die Zugabe von 2',3'-cAMP eine zelluläre Reaktion ausgelöst wird, die die Reaktion auf Stress imitiert. Die Verabreichung von 2',3'-cAMP führte bei ihren Versuchspflanzen zu Veränderungen auf der Ebene des Transkriptoms (RNA-Moleküle), des Proteoms (Eiweiße) und des Metaboloms (Inhaltsstoffzusammensetzung). Die beobachteten Veränderungen entsprechen den Reaktionen, die bei Stress auftreten. Darüber hinaus wirkt sich 2',3'-cAMP auf die sogenannten processing bodies aus, das sind mikroskopische, abgegrenzte Strukturen in der Zelle, bestehend aus Enzymen, die im m-RNA-Abbau eine wichtige Rolle spielen.

Dr. Skiycz, Professorin am Boyce Thompson Institut und an der Cornell University in den USA, erläutert dazu: „Unsere Arbeit ist ein weiterer wichtiger Hinweis darauf, dass viele der wichtigsten niedermolekularen Regulatoren chemisch einfache und evolutionär uralte Verbindungen sind. Da sie eher unscheinbar daherkommen, könnte man sie auch als Aschenputtel der chemischen Biologie bezeichnen.“ Kleine Moleküle bieten auf der Grundlage ihrer Signal- und Regulationsfunktionen einzigartige Möglichkeiten für die Entwicklung von Medikamenten und Agrochemikalien. Deshalb könnten die vorliegenden Forschungsergebnisse zu Innovationen im Bereich der zyklischen Nukleotide führen, die darauf abzielen, die Pflanzengesundheit und die pflanzliche Reaktion auf Umweltreize zu verändern und im besten Fall zu verbessern. „Unsere Entdeckungen eröffnen eine neue Dimension für die Forschung und bieten neue Möglichkeiten für die Untersuchung bisher noch unentdeckter Signalwege“, kommentiert Dr. Chodasiewicz die Forschungsergebnisse der Arbeitsgruppe.

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