„Mathe-Neurone“ im Gehirn identifiziert
Beim Rechnen sind manche Nervenzellen beim Addieren, andere beim Subtrahieren aktiv
© Photo: Christian Burkert/Volkswagen-Stiftung/University of Bonn
Dass drei Äpfel plus zwei Äpfel zusammen fünf Äpfel ergeben, dürften schon die meisten Grundschulkinder wissen. Was bei solchen Berechnungen im Gehirn abläuft, ist aber noch weitgehend unbekannt. Die aktuelle Studie der Universitäten Bonn und Tübingen bringt nun Licht ins Dunkel.
Die Forschenden profitierten von einer Besonderheit der Bonner Universitätsklinik für Epileptologie. Sie ist auf chirurgische Eingriffe im Gehirn von Epilepsiekranken spezialisiert. Bei manchen Betroffenen nehmen die Krampfanfälle stets vom selben Hirnbereich ihren Ausgang. Um diese defekte Stelle genau zu lokalisieren, setzen die Ärzte den Patientinnen und Patienten mehrere Elektroden ein. Mit den Sonden lässt sich der Krampfherd genau bestimmen. Nebenbei kann über die Verkabelung die Aktivität einzelner Neuronen gemessen werden.
Manche Nervenzellen feuern nur beim Summieren
An der aktuellen Studie nahmen fünf Frauen und vier Männer teil. Ihnen waren Elektroden in den sogenannten Schläfenlappen des Gehirns implantiert worden, um die Aktivität von Nervenzellen aufzuzeichnen. Währenddessen mussten die Teilnehmenden einfache Rechenaufgaben durchführen. „Dabei stellten wir fest, dass bei Additionen andere Neuronen feuerten als bei Subtraktionen“, erklärt Prof. Dr. Dr. Florian Mormann von der Klinik für Epileptologie des Universitätsklinikums Bonn.
Dabei war es nicht so, dass manche Nervenzellen nur auf ein „+“-Zeichen reagierten und andere nur auf ein „–“-Zeichen: „Auch wenn wir die mathematischen Symbole durch Wörter ersetzten, blieb der Effekt derselbe“, erklärt Esther Kutter, die in der Arbeitsgruppe von Prof. Mormann promoviert. „Wenn die Versuchspersonen zum Beispiel die Aufgabe ‚5 und 3‘ rechnen mussten, sprangen bei ihnen wieder die Additions-Neuronen an; bei ‚7 weniger 4‘ dagegen die Subtraktions-Nervenzellen.“
Das zeigt, dass die gefundenen Zellen tatsächlich eine mathematische Handlungsanweisung kodieren. An der Hirnaktivität ließ sich so mit großer Genauigkeit ablesen, welche Art von Aufgaben die Probandinnen und Probanden gerade berechneten: Die Forschenden fütterten ein selbstlernendes Computerprogramm mit den Aktivitätsmustern der Zellen. Gleichzeitig teilten sie der Software mit, ob die Versuchspersonen gerade eine Summe oder eine Differenz bildeten. Wurde der Algorithmus nach dieser Trainingsphase mit neuen Aktivitätsdaten konfrontiert, konnte er treffsicher erkennen, bei welcher Rechenoperation sie aufgezeichnet worden waren.
Prof. Dr. Andreas Nieder von der Universität Tübingen hat die Studie zusammen mit Prof. Mormann betreut. „Wir wissen aus Experimenten mit Affen, dass auch in ihrem Gehirn Neurone existieren, die für bestimmte Rechenvorschriften spezifisch sind“, sagt er. „Bei Menschen gibt es diesbezüglich aber kaum Daten.“ Bei der Analyse stießen die beiden Arbeitsgruppen auf ein interessantes Phänomen: Eine der untersuchten Hirnregionen war der sogenannte parahippokampale Kortex. Auch dort fanden die Wissenschaftler Nervenzellen, die spezifisch bei Additionen oder Subtraktionen feuerten. Allerdings wurden beim Summieren während ein- und derselben Rechenaufgabe abwechselnd unterschiedliche Additions-Neurone aktiv. Bildhaft gesprochen ist das so, als würde auf dem Taschenrechner die Plustaste andauernd ihren Ort ändern. Beim Subtrahieren war es genauso. Forschende sprechen auch von einer „dynamischen Kodierung“.
„Mit dieser Studie ist uns ein wichtiger Schritt zum besseren Verständnis einer unserer wichtigsten Symbolfähigkeiten gelungen, dem Rechnen mit Zahlen“, betont Mormann. Die beiden Teams aus Bonn und Tübingen wollen nun untersuchen, welche Rolle die gefundenen Nervenzellen dabei genau spielen.