Pilzgift gegen Krebs
Forschern gelingt Synthese des Hauptgifts des Knollenblätterpilzes: Damit wird sein Einsatz als Medikament zur Tumorbekämpfung erleichtert
„Es ist ein bisschen wie Schachspielen, kombiniert mit der Knotentheorie“, sagt Roderich Süssmuth, der die Rudolf-Wiechert-Professur für Biologische Chemie an der TU Berlin innehat. Die Herausforderung: Ausgehend von acht, teilweise komplexen Aminosäuren das alpha-Amanitin-Molekül aufzubauen, das aus zwei Molekül-Ringen besteht. Wie im Schach komme es bei Synthesewegen auf die „Eröffnung“ an; hier also darauf, wie zunächst die komplexen Aminosäuren synthetisiert werden können und an welcher Stelle an welchem der beiden Molekül-Ringe dann mit dem Aufbau des Amanitins begonnen wird. „Im Verlauf der Synthese müssen Sie immer wieder geschickt kombinieren und Entscheidungen treffen, zum Beispiel auch, welchen der beiden Ringe Sie zuerst schließen“, sagt Süssmuth.
Effizient und schnell zum Ziel
Die dazu notwendigen Reaktionsschritte haben die Forschenden dabei ganz klassisch im Chemielabor ausprobiert, sozusagen mit Pipette und Erlenmeyerkolben. „Dabei sollte die Synthese in möglichst wenigen Reaktionsschritten zum Ziel führen. Und die verwendeten Chemikalien müssen möglichst effizient eingesetzt werden, um eine hohe Ausbeute an Amanitin zu gewährleisten“, sagt Süssmuth. Dies sei zum einen wichtig, um nachher in der industriellen Produktion überhaupt wirtschaftlich arbeiten zu können. Zum anderen ist das Ziel, tatsächlich den schnellsten und effizientesten Weg zu beschreiten, auch patentrechtlich wichtig.
Huckepack in die Krebszelle
Das Gift des Knollenblätterpilzes wurde bereits in den Fünfzigerjahren durch den Nobelpreisträger Heinrich Otto Wieland und seinen Sohn Theodor untersucht. Seit mehr als zehn Jahren wird auch versucht, alpha-Amanitin in der Bekämpfung von Tumoren einzusetzen. Der dabei angewandte Trick: Das starke Zellgift wird an spezielle Antikörper gebunden, die an bestimmte Strukturen auf Tumorzellen andocken. Die Antikörper dringen dann mit dem Gift im Schlepptau in die Zelle ein. Dort hemmt das Amanitin den Prozess, mit dem die Erbgutinformationen aus der DNA im Zellkern abgelesen und in Baupläne für die lebenswichtigen Proteine der Zelle umgewandelt werden – die Zelle stirbt ab.
Kurz vor der klinischen Erprobung
Diese „Antibody Targeted Amanitin Conjugates” sind die Grundlage der ATAC-Technologie von Heidelberg Pharma. „Die an die ATACs gestellten Anforderungen sind sehr hoch“, berichtet Roderich Süssmuth. „Die Antikörper dürfen ihre Fracht beim Weg durch den Körper nicht verlieren, sonst würde das Gift zu schweren Nebenwirkungen führen. Andererseits muss sich das Amanitin in den Tumorzellen vom Antikörper lösen, sonst kann es nicht wirken.“ Ein großer Vorteil ist, dass Amanitin nicht von den Enzymen der Zelle inaktiviert wird. Die Ergebnisse aus Tierversuchen sind sehr vielversprechend: Die ATACs zeigten eine hohe Wirksamkeit, überwanden häufige Resistenzmechanismen und konnten auch ruhende Tumorzellen bekämpfen. Der Einsatz gegen das Multiple Myelom steht kurz vor der klinischen Phase, der gegen das Non-Hodgkin-Lymphom und gegen eine spezielle Form von Prostatakrebs befinden sich in der präklinischen Prüfung.
Durch Strukturvarianten neue Therapiemöglichkeiten
Die Aussicht auf eine industrielle Wirkstoffproduktion ist Voraussetzung für diese Erfolge. Da sich Amanitin nur in Hut und Stil des Knollenblätterpilzes bildet, war eine Produktion über Zellkulturen nicht möglich. Ebenso ist bisher auch keine Zucht der Pilze selber erfolgreich gewesen – was übrigens auch für Steinpilze und etliche andere Speisepilze gilt. „Mit der chemischen Synthese haben wir nicht nur einen einfachen Zugang zu alpha-Amanitin geschaffen“, sagt Roderich Süssmuth. Durch gezielte Modifikationen in der Synthese ließe sich nun auch eine Vielzahl von neuen Varianten in der Molekülstruktur von Amanitin erzeugen. „Dadurch kann die ATAC-Plattform noch deutlich erweitert werden, was neue Eigenschaften in der Therapie möglich machen könnte.“