Gen-Schere soll SARS-CoV2 und andere RNA-Viren zerstören

Quantensprung im Kampf gegen Viren: Wissenschaftler aus Göttingen und Hannover überzeugen im ersten bundesweiten Innovationswettbewerb SprinD-Challenge

16.12.2021 - Deutschland

Warum nicht einfach das Virus zerschneiden und auf diese Weise unschädlich machen? Das ist die Idee für eine innovative antivirale Therapie. Erste Ergebnisse in der vorklinischen Anwendung sind vielversprechend. Damit haben Wissenschaftler aus Göttingen und Hannover die Jury der ersten SprinD Challenge der Bundesagentur für Sprunginnovation „Ein Quantensprung für neue antivirale Mittel“ überzeugt.

Universitätsmedizin Göttingen, Georg-August-Universität

A. Das SARS-CoV-2 Genom wird in die Zelle abgegeben. Dort wird das virale Genom vermehrt und die Transkripte in Proteine übersetzt, um weitere Kopien von SARS-CoV-2 zu bilden. B. CRISPR/Cas13-Enzyme werden durch Genfähren (AAV-2) in die Zelle eingebracht und „zerschneiden” dort gezielt verschiedene Stellen des viralen SARS-CoV-2 Genoms und seiner Transkripte mittels einer spezifischen Kombination an crRNAs. Dadurch wird die Vermehrung von SARS-CoV-2 verhindert und Transkripte, die sonst in toxische Proteine übersetzt werden, reduziert.

Das niedersächsische Team „CRISPR/Cas13-mediated antiviral therapy“ unter der Leitung von Prof. Dr. Elisabeth Zeisberg, Klinik für Kardiologie und Pneumologie der UMG und Herzzentrum Göttingen, gehört zu neun ausgewählten Challenge-Teams. Sie treten jetzt in einen Wettbewerb um die vielversprechendsten Wirkstoffe im Kampf gegen Viruserkrankungen ein. Kooperationspartner im Projekt „CRISPR/Cas13-mediated antiviral therapy“ sind Prof. Dr. Gerd Hasenfuß, Klinik für Kardiologie und Pneumologie der UMG und Herzzentrum Göttingen, Prof. Dr. Stefan Pöhlmann vom Deutschen Primatenzentrum – Leibniz-Institut für Primatenforschung (DPZ), sowie Prof. Dr. Albert Osterhaus und Prof. Dr. Gisa Gerold von der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo). Insgesamt hatten sich 45 Teams aus Deutschland und Europa um eine Förderung beworben. Die ausgewählten Challenge-Teams wurden am 7. November 2021 im Rahmen der Konferenz FALLING WALLS in Berlin bekannt gegeben.

Das niedersächsische Team erhält wie alle ausgewählten Challenge-Teams im ersten Jahr des drei Jahre dauernden Wettbewerbs bis zu 700.000 Euro Förderung. Danach wird es an seinen Fortschritten auf dem Weg zu einer Sprunginnovation gemessen. Diese Ergebnisse entscheiden dann auch darüber, welche Teams in den Folgejahren der Challenge eine weitere Finanzierung erhalten.

„Wir freuen uns, dass sich das Gemeinschaftsprojekt mit dem spannenden Ansatz der Gen-Schere gerade in diesem neuen, bedeutenden Forum durchgesetzt hat. SprinD bietet für die Forschenden ein in Deutschland einmaliges Verfahren zur Förderung von Innovationen. Im Vergleich zu bisherigen Verfahren der staatlichen Innovationsfinanzierung ist die vorkommerzielle Auftragsvergabe deutlich schneller und die formalen Vorgaben sind weit weniger umfangreich. Für unseren Forschungsansatz bedeutet das: Wir können unsere Sprunginnovation gegen SARS-CoV2 Viren unmittelbar weiterentwickeln für die Gesundheit der Menschen. Das bietet eine herausragende Chance“, sagt Prof. Dr. Wolfgang Brück, Vorstand Forschung und Lehre und Sprecher des Vorstandes der UMG.

DIE GEFÖRDERTE IDEE „CRISPR/Cas13-mediated antiviral therapy“: Virus-RNA-Zersetzung (Degradation) als Therapie gegen SARS-CoV2 und andere RNA-Viren

Das neue Verfahren wurde experimentell an der UMG entwickelt. Für den neuen Wirkstoffansatz zum Kampf gegen Viren greift das Team „CRISPR/Cas13-mediated antiviral therapy“ um Professorin Zeisberg auf Werkzeuge zurück, die Bakterien schon seit langer Zeit erfolgreich anwenden. Diese haben ihren evolutionären Vorsprung von mehr als drei Milliarden Jahren gegenüber den Menschen genutzt und ein perfektioniertes System zur Bekämpfung von Viren entwickelt: sogenannte „Gen-Scheren“. CRISPR/Cas9 ist eine bakterielle DNA-Schere und CRISPR/Cas13 entsprechend eine RNA-Schere. Damit können Bakterien DNA- beziehungsweise RNA-Viren „zerschneiden“. Sogenannte guides („Begleiter“) oder crRNAs legen dabei fest, an welchen Stellen geschnitten wird.

Die Forscher aus Göttingen und Hannover haben das Ziel, die Vermehrung von SARS-CoV2, einem großen RNA-Einzelstrangvirus, in den oberen Luftwegen zu verhindern. Dafür haben sie ein Konzept für die Herstellung spezieller Gen-Scheren entwickelt: gegen SARS-Viren gerichtete RNA-Scheren. Diese beruhen auf dem bakteriellen CRISPR/Cas13-System. Sie werden mittels harmloser viraler Genfähren, so-genannter adeno-assoziierter AAV-2 Viren, gezielt in Lungenepithelzellen eingeschleust. Die RNA-Scheren sind dabei so gewählt, dass sie die menschliche Zelle selbst nicht beinträchtigen (Siehe Abbildung 1 oder in dem Video www.tarvigen.com/video, Zugang mit dem Passwort: TheraCov!). Eine Gen-Schere in Verbindung mit einer speziellen Kombination von gegen SARS-Viren ge-richteten crRNAs unterbindet konstant die Vermehrung von SARS-CoV-2 innerhalb von 24 Stunden in SARS-CoV2-infizierten menschlichen Lungenepithelzellen in der Petrischale.

Erste Versuche im Tiermodell mit SARS-CoV-2 infizierten Hamstern zeigen: Die Gabe des therapeutischen Mixes aus gegen SARS-CoV-2 gerichteten RNA-Scheren über die Nase führt im Vergleich zu einer unspezifischen Kontroll-Schere zu einer deutlichen Abnahme der Lungenschäden. „Durch eine besondere Auswahl der crR-NAs („Begleiter“) ist unser Ansatz weitgehend unabhängig von Mutationen und deckt daher alle bisherigen Varianten des SARS-CoV-2 Virus ab“, sagt Dr. Xingbo Xu, Mitarbeiter aus der Arbeitsgruppe Zeisberg.

„Grundsätzlich ist der Ansatz auch auf andere RNA-Viren übertragbar. Er könnte auch im Falle einer neuen Epi- oder Pandemie mit noch unbekannten RNA-Viren rasch als Therapie umgesetzt werden“, sagt Prof. Dr. Albert Osterhaus von der TiHo, Hannover.

„Mit unseren Partner*innen vom DPZ und der TiHo als Spezialisten auf dem Gebiet der Virologie allgemein und insbesondere auch für Coronaviren möchten wir diesen therapeutischen Ansatz nun optimieren und als mögliche Therapie gegen SARS-CoV-2 evaluieren, etablieren und in die klinische Anwendung bringen“, sagt Prof. Dr. Elisabeth Zeisberg.

„Gleichzeitig sehen wir in dem bislang erfolgreichen Ansatz nicht nur eine Anti-COVID-Therapie, sondern eine mögliche Plattformtechnologie, die sich langfristig auch gegen chronische Krankheiten einschließlich Herz- und Nierenerkrankungen einsetzen lässt. Die Förderung durch SprinD erlaubt es uns, diese Plattformtechnologie weiterzuentwickeln. Das ist für uns natürlich auch eine Auszeichnung unserer bisherigen Arbeit, die uns weiter anspornt“, sagt Prof. Hasenfuß, Direktor der Klinik für Kardiologie und Pneumologie und Vorsitzender des Herzzentrums der UMG.

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