Wie aus chronischer Darmentzündung Krebs entstehen kann

Risikogen verschlechtert DNA-Reparatur

03.11.2021 - Deutschland

Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED) sind schubweise auftretende Entzündungen des Magen-Darm-Trakts, die mit blutigen Stuhlgängen, Durchfällen und starken Beeinträchtigungen der Lebensqualität einhergehen. Menschen mit einer CED haben ein erhöhtes Risiko, auch an Darmkrebs zu erkranken. Dieser wird bei CED-Patientinnen und -Patienten dadurch begünstigt, dass die DNA in den Darmschleimhautzellen durch chronische Entzündungsprozesse beschädigt wird. Wird die DNA in einer Zelle geschädigt, so schützt sich im gesunden Zustand die Zelle vor der Anreicherung eines fehlerhaften Genoms dadurch, dass sie sich nicht mehr weiter teilt. Unter Entzündungsbedingungen sind diese Schutzmechanismen jedoch aufgehoben und begünstigen die Entstehung von Darmkrebs. Warum aber bei chronischer Entzündung diese Schutzmechanismen aufgehoben sind, ist bislang nicht verstanden.

© IKMB, Kiel University

Mikroskopische Aufnahme von entzündetem Darmgewebe, rechts ist der DNA-Reparaturmechanismus gestört, was ein verstärktes, tumorbegünstigendes Wachstum bedingt.

Ein Team aus dem Exzellenzcluster „Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI) hat nun gezeigt, dass das Gen XBP1, welches ein Risikogen für CED ist, ganz entscheidend darauf einwirkt, wie eine Darmschleimhautzelle mit entstandenem DNA-Schaden umgeht und sich somit vor der Entstehung von Krebs schützt. Zusätzlich konnte das Team um Professor Philip Rosenstiel und PD Dr. Konrad Aden vom Institut für klinische Molekularbiologie (IKMB) der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Kiel, erste Hinweise auf den möglichen dahinterliegenden Mechanismus finden. Ihre Ergebnisse haben sie im Fachjournal „Gastroenterology“ veröffentlicht.

Risikogen verschlechtert DNA-Reparatur

Im gesunden, nicht-veränderten Zustand kodiert das Gen XBP1 für ein Protein, das für das molekulare Gleichgewicht in der Darmschleimhaut sorgt und vor Entzündungen schützt. Bei CED-Patientinnen und Patienten kann ein Funktionsverlust dieses Gens im Darm zu einer gestörten Barriere und ungebremster Entzündung führen. Das Kieler Forschungsteam hat in der nun erschienenen Studie gezeigt, dass das Gen auch für die Entstehung von Darmkrebs eine Rolle spielen könnte. Fehlt das Gen in den Deckzellen der Darmschleimhaut wird ein wichtiger Reparaturmechanismus des Erbgutes nicht mehr korrekt ausgeführt. „Wenn das CED-Risikogen XBP1 in Darmepithelzellen fehlt, dann kommt es zu Schäden der DNA und zu vermehrter Zellteilung. Tiere mit einem defekten XBP1 Gen entwickelten einen invasiven Darmkrebs“, berichtet die Erstautorin Lina Welz, die als Clinician Scientist des Exzellenzclusters PMI parallel am IKMB als Doktorandin forscht und am UKSH, Campus Kiel, in der Klinik für Innere Medizin I ihre Facharztweiterbildung absolviert.

Mechanismus über Tumorsuppressor p53 und mTOR Signalweg

Im nächsten Schritt wollten die Forschenden genauer verstehen, über welchen Mechanismus das Gen XBP1 die DNA-Reparatur reguliert und daher bei Fehlfunktion zu Krebs führt. Hierbei stießen die Forschenden auf den bereits bekannten molekularen Schalter p53, einen sogenannten Tumorsuppressor, welcher die Zelle vor der malignen Entartung schützt. p53 gilt als „Wächter des Genoms“ und spielt eine entscheidende Rolle bei der Kontrolle des Zellwachstums. Das Forschungsteam konnte zeigen, dass XBP1 die Aktivität des p53 Tumorsuppressors koordiniert. Darüber hinaus konnten sie einen neuen Mechanismus identifizieren, wie der Tumorsuppressor p53 das unkontrollierte Wachstum von intestinalen Epithelzellen unterdrückt. „Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass XBP1 und p53 gemeinsam über den sogenannten mTOR Signalweg verhindern, dass sich eine geschädigte Darmepithelzelle unkontrolliert vermehrt und damit entarten kann“, sagt einer der Seniorautoren PD Dr. Konrad Aden, Senior Clinician Scientist des Exzellenzclusters PMI und Oberarzt in der Klinik für Innere Medizin I am UKSH, Campus Kiel.

Möglicher Therapieansatz

Der mTOR-Signalweg wird in der Medizin schon länger für andere Krankheiten als therapeutisches Ziel genutzt und könnte einen neuen frühen Zugang zur Krebstherapie bieten. Die Forschenden haben Mäuse und Zellsysteme mit erhöhten DNA-Schäden und defektem XBP1-Gen mit einem spezifischen Hemmstoff des mTOR-Wegs, dem Wirkstoff Rapamycin, behandelt. „In unseren Modellen konnten durch Rapamycin die vermehrte Zellteilung und die daraus resultierenden Folgeschäden deutlich reduziert werden“, berichtet Aden.

„Obwohl wir schon länger wissen, dass aus chronischen Darmentzündungen Krebs entstehen kann, wissen wir nur relativ wenig über die zugrundeliegenden Prozesse. Unsere Ergebnisse liefern nun eine neue Verknüpfung von Entzündung, gestörter Zellteilung und Reparatur des Erbgutes“, berichtet Seniorautor Professor Philip Rosenstiel, Direktor des IKMB. „Wir werden daher in weiteren Studien untersuchen, wie die gezielte Hemmung des mTOR-Signalweges für die Prävention von Darmentzündungen und von Darmkrebs genutzt werden kann“, so Rosenstiel.

„Dieser wissenschaftliche Erfolg einer Clinician Scientist des Clusters beweist auch die Leistungsfähigkeit des Clinician-Scientist-Programms im Exzellenzcluster PMI, welches es Ärztinnen und Ärzten ermöglicht parallel zu ihrer Facharztweiterbildung gleichberechtigt forschen zu können. Durch die so geschaffenen Forschungsfreiräume und die gute wissenschaftliche Infrastruktur gelingt es klinisch tätigen Ärztinnen und Ärzten, wie hier Lina Welz, solche herausragenden wissenschaftlichen Leistungen zu erzielen“, betont Professor Stefan Schreiber, PMI-Sprecher, Direktor des IKMB, CAU und UKSH, und Direktor der Klinik für Innere Medizin I des UKSH, Campus Kiel.

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