Individuelle Therapie bei Lymphdrüsenkrebs und Leukämie möglich und wirksam
Bei Leukämien oder Lymphome im fortgeschrittenen, wiederkehrenden Stadium zeigen Standardtherapien oftmals wenig Wirkung
Medikamente und Therapien zeigen bei PatientInnen mit gleichem Krankheitsbild oft unterschiedliche Effekte. Besonders in der Krebstherapie wird dies mehr und mehr ersichtlich. Die personalisierte Medizin zielt darauf ab, die individuell richtige Behandlung für PatientInnen zu finden, unter anderem indem sie spezifische Merkmale des Tumors der/des Betroffenen präzise analysiert und dadurch therapeutisch potentiell angreifbar macht. Personalisierte Therapieanpassungen erfolgen derzeit in erster Linie anhand genetischer Biomarker, diese bieten jedoch nur für weniger als 10 Prozent der KrebspatientInnen abgestimmte Behandlungsmöglichkeiten. Funktionelle Präzisionsmedizin (FPM) zeichnet sich durch den Einsatz von funktionellen Tests aus, in denen ähnlich einem Antibiogramm, mittels „drug screening“ die Wirksamkeit einer Vielzahl von Medikamenten direkt an Krebszellen ausgetestet wird.
In dieser innovativen Form der funktionellen personalisierten Medizin, speziell „single-cell functional precision medicine (scFPM)“, werden durch detaillierte Analyse einzelner Zellen die Effekte der Wirkstoffe auf sowohl bösartige als auch gesunde Zellen, welche im hierfür frisch entnommenen Gewebe von KrebspatientInnen isoliert werden, untersucht. Das Verfahren lässt eine Steigerung der spezifischen Wirksamkeit und eine Reduktion an Nebenwirkungen zu. In der hier angewandten Methode wird eine hohe Präzision durch automatisierte Mikroskopie und computergesteuerte Bildanalyse erreicht, ursprünglich wurde sie auch „Pharmakoskopie“ genannt.
Im Rahmen der EXALT Studie (für Extended Analysis for Leukemia/Lymphoma Treatment) an PatientInnen mit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen des Bluts und des Lymphsystems konnten WissenschafterInnen und ÄrztInnen um Philipp Staber (MedUni Wien/AKH Wien), Ingrid Simonitsch-Klupp (MedUni Wien/AKH Wien), Giulio Superti-Furga (CeMM) sowie Berend Snijder (ETH Zürich, vormals CeMM) erstmals zeigen, dass eine Therapieauswahl über einen funktionellen Test klinisch umsetzbar und für die Betroffenen von Nutzen ist. Die Erstautorschaft der Publikation wird von Christoph Kornauth und Tea Pemovska (beide MedUni Wien/AKH Wien) sowie Gregory Vladimer (Exscientia, vormals CeMM) geteilt.
Test der Medikamentenwirksamkeit
„Aus Echtzeit-Biopsien haben wir Tumor-Einzelzellen der PatientInnen untersucht und die Wirkungen von über 130 Kandidaten-Substanzen direkt ausgetestet, um festzustellen, welche Therapie beim jeweiligen Individuum anspricht“, so Studienleiter Philipp Staber, assoziierter Professor an der Klinische Abteilung für Hämatologie und Hämostaseologie von MedUni Wien und AKH Wien sowie Mitglied des Comprehensive Cancer Center (CCC). „Um den individuellen Nutzen der PatientInnen zu testen wurde die Zeit des Therapieansprechens mit der zu ihrer jeweiligen Vortherapie verglichen. 54% unserer PatientInnen hatten unter der so gewählten Therapie eine deutliche, zumindest um mehr als 30% verlängerte Zeit ihres progressionsfreien Überlebens. Bei 21% der PatientInnen zeigte sich sogar ein Langzeitansprechen. Unsere Studie belegt, dass eine individuelle Anpassung der Therapie nicht nur machbar, sondern auch wirksam ist, Resistenzen zu Vortherapien zu brechen“, so Staber. Für ihre Studie nutzen die WissenschafterInnen „Pharmakoskopie“, einen bildbasierten Ansatz der funktionellen Einzelzell-Präzisionsmedizin (scFPM), entwickelt in der Forschungsgruppe von CeMM Principal Investigator und Scientific Director Giulio Superti-Furga, auch Professor für Molekulare Systembiologie an der MedUni Wien. Giulio Superti-Furga ergänzt: „Unser Anliegen war es, echte personalisierte Medizin bei der Krebsbehandlung zu ermöglichen. Seit Jahren arbeiten viele, so wie wir am CeMM und an der MedUni Wien, an immer besseren molekularen Profilen von Genen, Proteinen und Metaboliten, die erlauben sollen, PatientInnen individuell zu behandeln. Aber beim Vorgang, der in dieser Studie eingesetzt wurde, geht es um eine Art von Abkürzung. Wir testen direkt, welches Medikament tatsächlich auf die Krebszellen wirkt. Die Idee zur personalisierten Krebsmedizin ist längst nicht neu. Doch in der dahinterliegenden Technologie, um Tumorgewebe so zu analysieren, dass daraus therapierelevante Informationen gewonnen werden können, stecken viele Jahre an Forschung. Heute können wir mit unerreichter Auflösung und Präzision Einzelzellanalysen von PatientInnenproben durchführen, einzelne Immunzell-Interaktionen beobachten und damit die Wirkung einer enormen Vielzahl an Medikamenten testen.“
Zielgerichtete Therapiewahl
Erstmals wurde in einer klinischen Krebsstudie im Bereich der Präzisionsmedizin ein funktioneller Assay verwendet. Das heißt, dass Wirkstoffe direkt am individuellen Zellmaterial der Patientin bzw. des Patienten getestet wurden, um daraus eine auf die jeweilige Person abgestimmte onkologische Therapie abzuleiten. Die Studie veranschaulicht, dass PatientInnen, für die keine Standardtherapien zur Verfügung stehen, von der funktionellen Einzelzell-Präzisionsmedizin (scFPM) stark profitieren, denn mit scFPM kann im Gegensatz zu früher eine Vielzahl an Wirkstoffen mittels eines High-Content-Assays detailliert erprobt werden.