Göttinger Forscher finden im Blut Warnsignale für Demenz
Konzentration bestimmter microRNAs deutet Risiko für geistigen Abbau an
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Noch ist das Verfahren nicht praxistauglich; Ziel der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist daher die Entwicklung eines einfachen Bluttests, um im ärztlichen Routinebetrieb das Risiko für eine Demenzerkrankung abschätzen zu können. Den Studiendaten zufolge könnten microRNAs möglicherweise auch Ziele für die Demenztherapie sein.
„Wenn sich Symptome einer Demenz bemerkbar machen, ist das Gehirn schon massiv geschädigt. Gegenwärtig geschieht die Diagnose viel zu spät, um überhaupt eine Chance auf eine wirkungsvolle Behandlung zu haben. Wird eine Demenz frühzeitig erkannt, dann steigen die Aussichten, den Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen“, sagt André Fischer, Forschungsgruppenleiter und Sprecher am DZNE-Standort Göttingen sowie Professor an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der UMG. „Wir benötigen Tests, die idealerweise bereits dann ansprechen, wenn noch keine Demenz ausgebrochen ist und zuverlässig das Risiko für eine spätere Erkrankung abschätzen. Die also frühzeitig warnen. Wir sind zuversichtlich, dass unsere aktuellen Studienergebnisse den Weg für solche Tests bereiten.“
Molekulare Signatur
Der Biomarker, den Fischer und seine Kolleginnen und Kollegen gefunden haben, beruht auf der Messung sogenannter microRNAs im Blut. MicroRNAs sind Moleküle mit regulatorischer Wirkung: Sie beeinflussen die Herstellung von Proteinen und damit einen zentralen Vorgang im Stoffwechsel eines jeden Lebewesens. „Es gibt viele verschiedene microRNAs und jede einzelne davon kann ganze Netzwerke von untereinander abhängigen Proteinen regulieren und damit komplexe Vorgänge im Organismus beeinflussen. MicroRNAs wirken also in der Breite. Wir wollten herausfinden, ob es spezielle microRNAs gibt, deren Aufkommen im Blut mit der geistigen Fitness korreliert“, so Fischer.
Durch umfangreiche Untersuchungen an Menschen, Mäusen und Zellkulturen konnten die Forscher letztlich drei microRNAs identifizieren, deren Konzentration mit der geistigen Leistungsfähigkeit zusammenhängt. Dafür analysierten sie Daten sowohl von jungen, kognitiv unauffälligen Personen, als auch Daten älterer Menschen mit „MCI“ – das Kürzel steht für milde kognitive Störungen. Für die Daten von gesunden Personen kooperierten die Göttinger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit dem LMU Klinikum München. Die Daten von MCI-Betroffenen stammten aus einer seit Jahren laufenden Studie des DZNE, an der Universitätskliniken bundesweit mitwirken.
Vorboten von Demenz
Letztlich fügten sich die verschiedenen Befunde wie Puzzleteile zusammen: Bei gesunden Menschen korrelierte die Konzentration der microRNAs mit der geistigen Fitness. Je niedriger der Blutwert, umso besser schnitten die Probanden bei Kognitionstests ab. Bei Mäusen wiederum stieg dieser Wert, noch bevor die Tiere geistig abbauten – gleichermaßen, ob altersbedingt oder weil sie Krankheitssymptome ähnlich denen einer Alzheimer-Demenz entwickelten. Weitere Indizien kamen von Patientinnen und Patienten mit MCI: Von denjenigen, bei denen der Blutmarker stark erhöht war, entwickelten rund 90 Prozent innerhalb von zwei Jahren eine Alzheimer-Erkrankung. „Ein erhöhter Blutspiegel dieser drei microRNAs sehen wir daher als Vorbote von Demenz“, so Fischer. „Wir schätzen, dass dieser Biomarker beim Menschen eine Entwicklung andeutet, die etwa zwei bis fünf Jahre in der Zukunft liegt.“
Etwaige Ziele für die Therapie
In ihren Studien an Mäusen und Zellkulturen stellten die Forschenden außerdem fest, dass die drei identifizierten microRNAs Entzündungsprozesse im Gehirn und die „Neuroplastizität“ beeinflussen – diese beinhaltet unter anderem die Fähigkeit von Nervenzellen, sich untereinander zu verknüpfen. Das lässt vermuten, dass die drei microRNAs mehr sind als Warnsignale. „Nach unserer Einschätzung sind sie nicht nur Marker, sondern wirken auch aktiv auf pathologische Prozesse. Das macht sie zu möglichen Ansatzpunkten für die Therapie“, sagt Fischer. „Tatsächlich sehen wir, dass sich die Lernfähigkeit von Mäusen verbessert, wenn diese microRNAs durch Pharmaka blockiert werden. Das haben wir sowohl bei Mäusen mit altersbedingten geistigen Defiziten beobachtet, als auch bei Mäusen mit Hirnschädigungen, wie sie in ähnlicher Weise bei einer Alzheimer-Erkrankung auftreten.“
Einsatz im Praxisbetrieb
Noch muss der neu gefundene Indikator weiter geprüft werden, zudem ist das aktuelle Messverfahren zu aufwändig für die Praxis: „In künftigen Studien wollen wir diesen Biomarker klinisch validieren. Außerdem möchten wir ein simples Testverfahren entwickeln“, so Fischer. „Unser Ziel ist ein kostengünstiger Test, ähnlich dem Schnelltest auf SARS-CoV-2 mit dem Unterschied, dass man für unsere Zwecke einen Blutstropfen benötigen würde. Ein solcher Test könnten bei Routine-Untersuchungen in der ärztlichen Praxis eingesetzt werden, um ein erhöhtes Demenzrisiko frühzeitig zu erkennen. Menschen, bei denen die Ergebnisse auffällig sind, könnten sich dann einer aufwändigeren Diagnostik unterziehen.“