Frühere Erkältungen verbessern Immunreaktion gegen SARS-CoV-2

03.09.2021 - Deutschland

Bestimmte Immunzellen, die Menschen in der Vergangenheit gegen Erkältungscoronaviren gebildet haben, stärken die Immunreaktion gegen SARS-CoV-2 – sowohl während der natürlichen Infektion als auch nach einer Impfung. Das zeigen Forschende der Charité – Universitätsmedizin Berlin, des Berlin Institute of Health in der Charité (BIH) und des Max-Planck-Instituts für molekulare Genetik (MPIMG) in einer aktuellen Studie im Fachmagazin Science. Diese „Kreuzimmunität“ nimmt mit zunehmendem Alter ab. Das könnte dazu beitragen, dass ältere Menschen an Covid-19 häufiger schwer erkranken und bei ihnen der Impfschutz oft schwächer ausfällt als bei Jüngeren.

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Symbolbild

Wissenschaftler der Charité und des MPIMG waren im letzten Jahr die Ersten, die eine überraschende Beobachtung machten: Einige Menschen, die noch nie mit SARS-CoV-2 Kontakt hatten, besitzen Gedächtnis-Immunzellen, die den Erreger trotz seiner Neuheit erkennen. Das Team führte die Beobachtung darauf zurück, dass diese sogenannten T-Helferzellen sich in der Vergangenheit mit harmloseren Erkältungscoronaviren auseinandersetzen mussten und aufgrund der ähnlichen Struktur, insbesondere des Spike-Proteins auf der Virusoberfläche, auch das neue Coronavirus angreifen. Eine solche Kreuzreaktivität wurde inzwischen in einer ganzen Reihe von Studien bestätigt.

Unklar – und weltweit intensiv diskutiert – blieb allerdings die Frage, wie diese Immunzellen den Verlauf einer späteren SARS-CoV-2-Infektion beeinflussen. „Wir haben angenommen, dass kreuzreagierende T-Helferzellen eine schützende Wirkung haben, eine frühere Erkältung mit endemischen, das heißt seit vielen Jahren in der Bevölkerung zirkulierenden, Coronaviren also die Symptome bei COVID-19 abmildert“, sagt Dr. Lucie Loyal, Wissenschaftlerin am Si-M (Der Simulierte Mensch), einem gemeinsamen Forschungsraum der Charité und der Technischen Universität Berlin, und am BIH Center for Regenerative Therapies (BCRT). Sie ist Erstautorin der damaligen und auch der jetzigen Studie. „Es hätte aber auch das Gegenteil der Fall sein können. Bei manchen Viren führt eine zweite Infektion mit einem ähnlichen Virusstamm nämlich zu einer fehlgeleiteten Immunantwort, mit negativen Auswirkungen auf den Krankheitsverlauf.“ Jetzt präsentiert das Berliner Forschungsteam Hinweise, die die Annahme einer schützenden Wirkung stützen. Den Daten zufolge könnte die Kreuzimmunität einer von mehreren Gründen nicht nur für die unterschiedlich schweren COVID-19-Verläufe, sondern auch die unterschiedliche Effektivität der Impfungen in verschiedenen Altersgruppen sein.

Für die Studie rekrutierten die Forschenden ab Mitte 2020 fast 800 Menschen, die noch nicht mit SARS-CoV-2 in Kontakt gekommen waren, und prüften in regelmäßigen Abständen, ob diese sich mit dem Erreger infiziert hatten. Das war bei 17 Personen der Fall. Deren Immunsystem analysierte die Forschungsgruppe sowohl vor als auch während der Infektion im Detail. Dabei zeigte sich, dass der Körper T-Helferzellen, die er gegen endemische Erkältungscoronaviren gebildet hatte, auch gegen SARS-CoV-2 mobilisierte. Außerdem fiel die Immunantwort gegen SARS-CoV-2 qualitativ umso besser aus, je mehr dieser kreuzreagierenden Zellen vor der Infektion vorhanden waren. Die Zellen erkannten dabei besonders häufig einen bestimmten Bereich des Spike-Proteins. Die Struktur der alten und des neuen Coronavirus ist an dieser Stelle „konserviert“, also besonders ähnlich gestaltet. „Bei Erkältungen mit harmloseren Coronaviren baut das Immunsystem also eine Art universelles, schützendes Coronavirus-Gedächtnis auf“, erklärt Dr. Claudia Giesecke-Thiel, Leiterin der Servicegruppe Durchflusszytometrie am MPIMG und leitende Autorin der Studie. „Wenn es nun mit SARS-CoV-2 in Kontakt kommt, werden solche Gedächtniszellen wieder aktiviert und greifen nun auch den neuen Erreger an. Das könnte zu einer schnelleren Immunantwort gegen SARS-CoV-2 beitragen, die einer ungehinderten Ausbreitung des Virus im Körper zu Beginn der Infektion entgegensteht und so den Verlauf der Erkrankung vermutlich günstig beeinflusst.“ Die Wissenschaftlerin betont aber auch: „Das bedeutet nicht, dass man durch vergangene Erkältungen mit Sicherheit vor SARS-CoV-2 geschützt ist. Eine Impfung ist in jedem Fall wichtig. Unsere Studie liefert eine von mehreren Erklärungen für die seit Beginn der Pandemie gemachte Beobachtung, dass eine SARS-CoV-2-Infektion bei verschiedenen Menschen so unterschiedlich verlaufen kann.“

Einen immunverstärkenden Effekt der kreuzreagierenden T-Zellen wiesen die Wissenschaftler auch bei einer COVID-19-Impfung mit dem Vakzin von BioNTech nach. Ähnlich einer natürlichen Infektion bewirkt der Impfstoff, dass der Körper das Spike-Protein von SARS-CoV-2 – inklusive des konservierten Bruchstücks – produziert und dem Immunsystem präsentiert. Eine Analyse der Immunreaktion von 31 gesunden Personen vor und nach der Impfung ergab: Während normale T-Helferzellen über einen Zeitraum von zwei Wochen schrittweise aktiviert wurden, sprachen die kreuzreagierenden T-Helferzellen innerhalb von einer Woche sehr rasch auf die Impfung an. Das wirkte sich auch positiv auf die Bildung von Antikörpern aus: Der Körper konnte schon nach der Erstimpfung mit einer Geschwindigkeit, die sonst nur bei Auffrischungsimpfungen beobachtet wird, Antikörper gegen die konservierte Stelle im Spike-Protein produzieren. „Auch bei der Impfung kann der Körper also zumindest teilweise auf ein Immungedächtnis zurückgreifen, wenn er bereits Erkältungen mit endemischen Coronaviren durchgemacht hat“, sagt Prof. Dr. Andreas Thiel, ebenfalls leitender Autor der Studie, der als Charité-Wissenschaftler am Si-M und am BCRT forscht. „Das könnte die überraschend schnelle und sehr hohe Schutzwirkung erklären, die wir zumindest bei jüngeren Menschen schon nach einer COVID-19-Erstimpfung beobachten.“

Denn die Forschenden konnten in einem zweiten Teil der Studie durch eine Analyse der T-Helferzellen bei knapp 570 gesunden Personen nachweisen, dass die Kreuzimmunität im höheren Lebensalter sinkt: Sowohl die Anzahl der kreuzreagierenden T-Zellen als auch ihre Bindungsstärke war bei älteren Studienteilnehmern geringer als bei jüngeren. Die abnehmende Kreuzimmunität führen die Autoren auf natürliche Veränderungen eines alternden Immunsystems zurück. „Der Vorteil, den eine harmlose Coronavirus-Erkältung jüngeren Menschen bei der Bekämpfung von SARS-CoV-2 und auch beim Aufbau des Impfschutzes häufig bringt, fällt bei älteren Menschen leider geringer aus“, sagt Prof. Thiel. „Eine dritte Auffrischungsimpfung könnte in dieser stärker gefährdeten Bevölkerungsgruppe die schwächere Immunantwort vermutlich ausgleichen und für einen ausreichenden Impfschutz sorgen.“

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