Verstehen, wie Viren in der Evolution entstanden sind
Schlüsselschritt in der Evolutionsgeschichte von Viren in Laborexperiment nachgestellt
ETH Zürich / Stephan Tetter
Vereinfacht gesagt bestehen Viren vor allem aus ihrem Erbgut (RNA oder DNA) und einer Proteinhülle, welches dieses umschliesst. Die Hülle ist dazu da, das Erbgut vor Umwelteinflüssen zu schützen sowie bei dessen Verbreitung zu helfen. Um das Erbgut in ihrem Innern einlagern zu können, müssen Bestandteile der Hülle das virale Erbgut genau erkennen und sich nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip an dieses heften können.
Mutation und Selektion
Forschenden unter der Leitung von Donald Hilvert, emeritierter Professor am Department Chemie und Angewandte Biowissenschaften, ist es gelungen, ein bakterielles Protein so zu verändern, dass es diese Fähigkeit erlangte. Die Wissenschaftler verwendeten dazu ein Protein des in heissen Quellen vorkommenden Bakteriums Aquifex aeolicus. In den Bakterien setzen sich jeweils 60 solcher Proteine natürlicherweise zu winzigen regelmässigen geometrischen Hohlkörpern mit 12 gleichen Seitenflächen zusammen. Diese Kapseln dienen in den Bakterien dazu, eine bestimmte biochemische Reaktion besonders effizient ablaufen zu lassen. «Im Prinzip sind diese bakteriellen Kapseln etwas Ähnliches wie eine Virushülle, allerdings mit der Ausnahme, dass die bakteriellen Kapseln nicht mit RNA wechselwirken», erklärt ETH-Professor Hilvert.
Damit die Kapselproteine genau dies tun, haben er und seine Kollegen das Protein mithilfe der Gentechnik so verändert, dass es sich an beliebige RNA-Moleküle heften kann. Anschliessend ahmten die Forschenden in einem mehrstufigen Experiment die biologische Evolution im Schnelldurchlauf nach. Dadurch erreichten sie, dass die Hüllenproteine nur noch mit einem bestimmten RNA-Molekül wechselwirkten. Sie unterzogen dazu dieses Protein in mehreren Runden zunächst zufälligen genetischen Veränderungen und setzten es anschliessend einem geeigneten Selektionsdruck aus.
Auf diese Weise gelang es den Wissenschaftlern erstmals Proteinhüllen herzustellen, welche sich an ihre eigene RNA-Bauanleitung heften und diese effizient in ihrem Innern einlagern. Die entstandenen Kapseln waren grösser als die ursprünglichen: 240 Proteine fügten sich zu einem geometrisch regelmässig aufgebauten Hohlkörper mit 42 Seitenflächen zusammen. In jedem dieser Hohlkörper befanden sich zwei bis drei RNA-Bauanleitungsmoleküle. Die Forschenden zeigten schliesslich zusammen mit Kollegen der Universitäten Leeds und York: Die RNA-Moleküle haben sich während des Evolutionsexperiments im Labor in ihrer dreidimensionalen Struktur so verändert, dass sie auf ähnliche Weise in den Kapseln eingelagert werden wie das in vielen bekannten Virenfamilien der Fall ist.
Breite Anwendungen
«Wir konnten damit im Labor zeigen: Ein RNA-Molekül und das von ihm codierte Protein können sich so verändern, dass sich das Protein zu Kapseln zusammenfügt und RNA einlagert», sagt Hilvert. «Auf ähnliche Weise könnte auch die Evolution von RNA-Viren vor Milliarden Jahren abgelaufen sein.» Eine bestimmte Theorie zur Evolution von Viren besagt, dass Viren ihren Ursprung in biologischen Zellen haben und dass die ersten Viren Proteine ihrer Wirtszelle rekrutierten, um ihr Genom zu schützen und zu transportieren.
Um die Entstehung von Viren ganz zu verstehen, warten noch viele weitere unbeantwortete Fragen, denen die Wissenschaftler als nächstes nachgehen möchten: Es geht darum zu verstehen, wie solche Hüllen im Laufe der Evolution gelernt haben, aus einer Zelle zu entweichen, in andere Zellen einzudringen und dort das Erbgut freisetzen zu können.
Bedeutend ist diese Forschungsarbeit allerdings nicht nur für die Erklärung der Virusevolution. Die Entwicklung von Virus-ähnlichen Partikeln ist auch ein bedeutendes Forschungsgebiet mit breiten Anwendungen. Dabei geht es darum, künstliche Hüllen zu entwickeln, welche RNA oder DNA enthalten sowie in der Lage sind, diese in biologische Zellen zu bringen. Anwendungen wären beispielswiese Impfstoffe, die Zelltherapie oder Vehikel zur Verabreichung von Medikamenten.