Ein trojanisches Pferd gegen Tuberkulose

Neuer Transportweg für Antibiotika direkt in infizierte Zellen

14.06.2021 - Deutschland

Tuberkulose ist auch heute noch die Infektionskrankheit, die weltweit die meisten Menschenleben fordert. Sie wird durch Mycobacterium tuberculosis verursacht, ein Bakterium, dass Zellen in der Lunge infiziert. Dort ist der Erreger für die meisten Antibiotika kaum erreichbar. Außerdem nehmen Resistenzen gegenüber den bisherigen Medikamenten zu. Um die Behandlung mit Reserveantibiotika zu verbessern, haben Forscher vom TWINCORE gemeinsam mit Partnern von der Medizinischen Hochschule Hannover sowie dem Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland einen Weg gefunden, die Wirkstoffe direkt in die befallenen Zellen zu transportieren. Dazu verpacken sie die Antibiotika in sogenannten Liposomen

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Symbolbild

Zur Behandlung von multiresistenten Mykobakterien, gegen die die meisten Antibiotika nicht mehr wirken, stehen nur noch wenige Reserveantibiotika zur Verfügung. Sie haben den Nachteil, dass sie nur schwer in die Zellen eindringen können, in denen das Bakterium vorkommt. Die hohen Konzentrationen der Medikamente, die deswegen notwendig sind, müssen intravenös verabreicht werden und haben schwere Nebenwirkungen. Wird die Therapie zu früh abgebrochen, bilden die Keime neue Resistenzen aus. Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, haben Wissenschaftler am TWINCORE nun einen innovativen Ansatz entwickelt.

„Wir haben die Antibiotika in kleine Lipidtröpfchen verpackt, die zusätzlich mit Zuckermolekülen bestückt sind“, sagt Verónica Durán, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Experimentelle Infektionsforschung und Erstautorin der Veröffentlichung. „Diese Liposomen genannte Nanopartikel interagieren mit den gleichen Rezeptoren wie die Mykobakterien und werden deshalb über den gleichen Transportweg in die Zellen geschleust wie die Erreger, quasi wie mit einem trojanischen Pferd.“ Der Wirkstoff gelangt dann genau dorthin, wo er gebraucht wird: direkt in die Wirtszellen von Mycobacterium tuberculosis, die sogenannten Alveolarmakrophagen in der Lunge.

Die Vorteile dieser Nanoformulierung liegen auf der Hand. „Wir können direkt die infizierten Immunzellen in der Lunge behandeln“, sagt Theresa Graalmann, forschende Ärztin an MHH und TWINCORE. „Möglicherweise könnte man so die Dosierung der Medikamente senken oder die Dauer der Therapie verkürzen.“ Graalmann hat das Projekt gemeinsam mit Ulrich Kalinke, dem Direktor des Instituts für Experimentelle Infektionsforschung und Geschäftsführendem Direktor des TWINCORE und Elena Grabski, die mittlerweile am Paul-Ehrlich-Institut in Langen tätig ist, geleitet.

Um zu den gewonnenen Erkenntnissen zu gelangen, setzten die Forscher auch die CRISPR/Cas9-Technologie ein. Dieses häufig als „Genschere“ bezeichnete molekularbiologische System zur Editierung von Genen wurde im vergangenen Jahr mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet. Es kommt mittlerweile routinemäßig im Labor zum Einsatz, zumeist in etablierten Zelllinien. „Um den Mechanismus des Liposomeneintritts in Zellen zu verstehen, haben wir allerdings primäre menschliche Immunzellen verändert, also solche, die direkt aus Blutproben von Spenderinnen und Spendern isoliert wurden“, sagt Berislav Bošnjak, Wissenschaftler am Institut für Immunologie der MHH. Diese Zellen sind im Labor viel schwieriger zu handhaben als Zelllinien. „Das zeigt einmal mehr, wie nützlich CRISPR/Cas9 in der Forschung mittlerweile geworden ist.“

Der nächste Schritt wäre nun der Transfer in die klinische Anwendung. „Die Weiterentwicklung ist recht kostspielig. Dafür würden wir zusätzliche finanzielle Unterstützung brauchen, etwa von einem Investor“, sagt Forschungsleiter Ulrich Kalinke. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Dennoch ist er sicher: „Ich bin zuversichtlich, dass sich dieses Prinzip eines Tages für die Behandlung der Tuberkulose und auch anderer Infektionskrankheiten durchsetzen wird.“

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