So klein und schon so böse: Auf der Jagd nach den Wurzeln des Krebses
Eingefärbte Tumore verraten frühzeitig ihren schlechten Einfluss
Neues genetisches Modell ermöglicht frühzeitige Darmkrebserkennung bei Mäusen schon bei der Veränderung der ersten Zelle - Entdeckung ebnet auch Weg für neue Behandlungsstrategie.
©Yum/IMBA
Ein internationales Forscherteam in Wien und Cambridge hat ein innovatives genetisches Modell entwickelt, mit dem bereits die ersten Schritte erkannt werden können, die zur Krebsentwicklung in Mäusen führen: Das mehrfarbige Markierungssystem “Red2Onco” ermöglicht es, die Entwicklung von Darmtumoren nach dem ersten onkogenen Treffer (hit) auf der Ebene einzelner Zellen zu verfolgen. Die Entdeckung ebnet auch den Weg für neue Behandlungsmethoden. Die Ergebnisse der am Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften IMBA und der University of Cambridge durchgeführten Forschungen wurden nun in der Zeitschrift Nature veröffentlicht.
Krebsuntersuchungen sind bisher erst ab einer gewissen Stufe möglich, ab der die zellulären Veränderungen klinisch nachweisbar werden. Die allerersten Phasen auf dem Weg zur bösarten Veränderung (Malignität) sind jedoch histologisch unsichtbar, da der Prozess innerhalb einer einzigen Zelle beginnt. In der allerersten Phase erwirbt eine sogenannte Keimzelle eine erste krebsfördernde Mutation - als "erster onkogener Hit" bezeichnet - während sie noch vollständig von normalem Gewebe umgeben ist. Um diese Hürde für die Erkennung zu überwinden, hat ein Forschungsteam um IMBA-Gruppenleiter Bon-Kyoung Koo und Gruppenleiter Professor Benjamin D. Simons von der University of Cambridge ein Laborsystem entwickelt, um die bisher unter dem Radar gebliebenen Krebsvorstufen zu entschlüsseln.
Auf der Jagd nach den Wurzeln des Krebses
"Mit dem Vormarsch von Technologien wie einer speziellen tief-zielenden DNA-Sequenzierung wurde festgestellt, dass krebsassoziierte Mutationen bereits in normalem Gewebe vorhanden sind, was sehr beängstigend ist", beschreibt Bon-Kyoung Koo den Wendepunkt, der ihn wie einen forensischen Detektiv auf die Spuren des ersten onkogenen Hits geführt hat.
Die meisten menschlichen Krebsarten haben ihren Ursprung im Epithel, der obersten Zellschicht des Haut- und Schleimhautgewebes. Daher beschloss der Genetiker Koo, ein Modell zu bauen, um die Auswirkungen der ersten onkogenen Veränderungen im Mausdarm zu untersuchen. Dieses genetische Modell, das das Team "Red2Onco" genannt hat, ist eine Vierfarben-Markierungstechnologie. Diese Technologie erlaubt es, den Beginn der Tumorgenese von einer einzelnen mutierten Zelle aus zu verfolgen. Mit Red2Onco fand das Team heraus, dass mutierte Zellen eine feindliche Umgebung für ihre benachbarten nicht-mutanten Zellen schaffen und die normale Stammzellumgebung im Darmgewebe der Maus massiv deregulieren. "Das ist mit Abstand der spannendste Ansatz, den wir bisher verfolgt haben", sagt Bon-Kyoung Koo.
Onkogene Faktoren und rücksichtslose Crosstalk-Mechanismen
Mit Hilfe von Red2Onco konnte das Team die Mechanismen untersuchen, die von zwei separaten ersten onkogenen Hits ausgelöst werden. Dabei handelt es sich um Mutationen an den Proto-Onkogenen KRAS bzw. PI3K, die als krebsfördernde Faktoren bekannt sind. Sie treiben die Veränderung zur Bösartigkeit in ausgewiesenen Tumoren voran. Zu ihrer Überraschung fanden die Forscher heraus, dass sogar im Fall eines ersten derartigen onkogenen Treffers die mutierte prä-onkogene Zelle, oder Keimzelle, einen negativen Einfluss auf ihre Nachbarn ausübt. Das umliegende Normalgewebe verliert seine Stammzellen, was wiederum die territoriale Ausbreitung der onkogenen mutierten Stammzellen und ihrer Nachkommen begünstigt. "Durch diesen Prozess der 'Feldtransformation' erhöht die Besiedlung des Darmgewebes durch mutierte Zellen die Chance auf weitere onkogene Treffer, die wiederum zu Krebs führen können", erklärt Benjamin Simons vom Gurdon Institute, University of Cambridge.
Der Erstautor der Studie, Min Kyu Yum, fügt hinzu: "Onkogene Mutantenzellen beeinflussen das Schicksalsverhalten ihrer Wildtyp-Nachbarn sowohl direkt, durch Sekretion von Signalfaktoren, als auch indirekt durch induzierte Veränderungen in der gemeinsamen Gewebeumgebung". Zusätzlich fasst Co-Erstautor Seungmin Han zusammen: "Mit Hilfe von vergleichenden Einzelzellanalysen und Organoid-Kulturmethoden konnten wir die molekularen Mechanismen aufschlüsseln, die den zellulären Crosstalk vermitteln".
Der aggressive Einfluss kann unterdrückt werden
Die Relevanz der Arbeit ist aufgrund der Bedeutung für zukünftige Behandlungsstrategien beträchtlich. So konnten die Autoren zeigen, dass die Unterdrückung der BMP (Bone Morphogenic Protein)-Signale, die von der onkogenen Mutante ausgehen, den negativen Einfluss auf die normalen Stammzellen lindert. "Unsere Entdeckung ermöglicht nicht nur die Erkennung von frühen Ereignissen der Tumorentstehung, sondern ebnet auch den Weg für Interventionsstrategien, die auf zelluläre Crosstalk-Mechanismen abzielen", schließt Min Kyu Yum.