Menschenspezifisches Gen macht Mäuse schlauer
Ein Gen, das nur beim Menschen vorkommt, führt bei Mäusen zu einem größeren Gehirn, erhöhter Flexibilität des Gedächtnisses und weniger Ängstlichkeit
Lei Xing et al., EMBO J 2021 / MPI-CBG
Der menschliche Neokortex ist etwa dreimal so groß wie der unseres nächsten lebenden Verwandten, des Schimpansen, und ermöglicht so hoch entwickelte kognitive Fähigkeiten wie logisches Denken und Sprache. Das Forscherteam um Wieland Huttner am MPI-CBG, einem der Gründungsdirektoren des Instituts, will verstehen, wie es zu dieser Vergrößerung kam. In früheren Studien untersuchten die Forscher ein Gen namens ARHGAP11B, das nur beim Menschen vorkommt und eine vermehrte Bildung von Gehirnstammzellen bewirkt – eine Voraussetzung für ein größeres Gehirn. Zwei zentrale Fragen waren allerdings noch unbeantwortet: Bleibt die – durch das Einbringen dieses menschenspezifischen Gens verursachte – Vergrößerung des Neokortex von Mausembryonen bis zum Erwachsenenalter erhalten, und sind solche Mäuse mit einem größeren Gehirn tatsächlich intelligenter?
Verhaltenstests zeigen verbesserte Flexibilität des Gedächtnisses
Lei Xing, Postdoktorand in der Gruppe von Wieland Huttner, konnte zeigen, dass die Vergrößerung des Neokortex und die erhöhte Anzahl von Neuronen in transgenen Mausembryonen, in denen ARHGAP11B aktiv ist, tatsächlich bis ins Erwachsenenalter anhält. Er arbeitete daraufhin mit Forschern des tschechischen Zentrums für Phänogenomik zusammen, um das Verhalten von erwachsenen ARHGAP11B-Mäusen mit ihrem vergrößerten Neokortex zu untersuchen. Speziell testeten die Forscher, ob diese Mäuse bessere kognitive Fähigkeiten haben. Lei Xing erklärt: „Zusammen mit unseren tschechischen Kollegen haben wir vier separate Verhaltenstests durchgeführt, die verschiedene Arten des Lernens und des Gedächtnisses untersuchen. In einem dieser Tests setzten wir eine Gruppe von Mäusen in ein spezielles Käfigsystem, in dem sich in den Ecken Wasserflaschen befanden. Nach einer Weile begrenzten wir den Wasserzugang für die Mäuse auf nur eine Ecke und änderten die Position der Wasserflasche jeden Tag. Die Mäuse mussten also das Muster erkennen, nach dem sich der Standort der Wasserflasche veränderte. Wir fanden heraus, dass die ARHGAP11B-Mäuse mit ihrem größeren Gehirn weniger Fehler beim Finden der Wasserflasche machten als die Wildtyp-Mäuse mit ihrem normal großen, also kleineren Gehirn.“ Das deutet auf eine größere Flexibilität des Gedächtnisses hin, was wiederum heißt, dass sich die ARHGAP11B-Mäuse besser an eine neue, anspruchsvolle Umgebung anpassen und besser in der Lage sind, den wechselnden Standort der Wasserflasche zu begreifen. „In einem weiteren Test fanden wir, dass ARHGAP11B-Mäuse sich weniger ängstlich verhalten. Wildtyp-Mäuse zeigten mehr Angst und versuchten, so schnell wie möglich aus dem hell beleuchteten Zentrum der Versuchsanlage in die schützende Randzone zu gelangen, während ARHGAP11B-Mäuse entspannter waren und länger im Zentrum verweilten“, sagt Lei.
„Diese verbesserte Flexibilität des Gedächtnisses deutet höchstwahrscheinlich auf verbesserte kognitive Fähigkeiten der ARHGAP11B-Mäuse mit ihrem größeren Gehirn hin“, fasst Wieland Huttner zusammen. Er fährt fort: „Unsere Studie legt also nahe, dass die durch ARHGAP11B verursachte Vergrößerung des Neokortex tatsächlich zu einer besseren kognitiven Leistung führt, was wichtige Hinweise auf die Rolle dieses menschenspezifischen Gens in der Evolution des Menschen gibt.“