Aufbau von Biomasse durch umgekehrten Citratzyklus

Stoffwechselweg läuft bei hohen Kohlendioxid-Konzentrationen „rückwärts“

27.04.2021 - Deutschland

Ein Forschungsteam der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU Münster) und der Technischen Universität München (TUM) hat neue Erkenntnisse zum Citratzyklus gewonnen: Bei sehr hohen Kohlendioxid-Konzentrationen können Bakterien diesen zentralen Stoffwechselweg mittels des Enzyms Citratsynthase auch „rückwärts“ nutzen und damit aus Kohlendioxid nützliche Verbindungen aufbauen. Möglicherweise lassen sich diese Erkenntnisse auch biotechnologisch nutzen.

Thomas Geisberger / TUM

Mitautor Thomas M. Steiner vor dem Gaschromatographen mit angeschlossenem Massenspektrometer, mit dem die Stoffwechselprodukte analysiert wurden.

Der Citratzyklus ist ein wichtiger Stoffwechselweg, der es vielen Organismen – vom einfachen Bakterium bis hin zum Menschen – ermöglicht, durch den Abbau organischer Stoffe zu Kohlendioxid (CO2) Energie zu gewinnen. 

Normalerweise sorgt das Enzym Citratsynthase für den ersten, namensgebenden Schritt im Citratzyklus: den Aufbau von Citrat. Bestimmte Bakterien sind jedoch auch in der Lage, bei Abwesenheit von Sauerstoff („anaerob“) durch den sogenannten reduktiven Citratzyklus Biomasse aus CO2 aufzubauen – ähnlich wie Pflanzen bei der Photosynthese. 

Im reduktiven Citratzyklus dieser anaeroben Bakterien wird die Citratsynthase durch das Enzym Citratlyase ersetzt, um das Citrat zu spalten, statt es aufzubauen. Die Energie für diesen Prozess liefert Adenosintriphosphat (ATP), der universelle Energieträger in lebenden Zellen. 

Vor wenigen Jahren entdeckte ein Forschungsteam um die beiden Professoren Ivan Berg an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und Wolfgang Eisenreich an der TU München, dass die Citratsynthase in manchen anaeroben Bakterien auch ohne ATP-Verbrauch die Citratspaltung katalysiert.

Was bestimmt die Richtung des Citratzyklus?

Für ihre nun in der Zeitschrift Nature publizierte Arbeit untersuchten die Forschenden die anaeroben Bakterien Hippea maritima und Desulfurella acetivorans. Diese Organismen leben ohne Sauerstoff unter anderem an heißen Quellen, wo die CO2-Konzentration 90 Prozent und höher sein kann.

Die Frage der Wissenschaftler war: Wodurch wird bestimmt, ob der Citratzyklus bei den untersuchten Bakterien „vorwärts“ oder „rückwärts“ läuft? Sie züchteten die Bakterien unter verschiedenen Bedingungen und merkten, dass das Wachstum dieser Organismen stark von der CO2-Konzentration abhängig ist. 

Die von den Wissenschaftlern verwendeten Bakterien konnten sehr gut mit 20 und 40 Prozent CO2 wachsen, jedoch nur noch moderat mit fünf Prozent. Mit zwei und einem Prozent CO2 war kein Wachstum mehr möglich. Zur Kontrolle nutzten sie das Bakterium Desulfobacter hydrogenophilus, das eine andere, energetisch teurere Version des Citratzyklus in reduktiver Richtung verwendet. In diesem Bakterium wurde das Wachstum durch die CO2-Konzentration nicht beeinflusst. 

Es zeigte sich, dass die hohe CO2-Konzentration für das Wachstum von Hippea maritima und Desulfurella acetivorans notwendig ist, damit ein weiteres wichtiges Enzym, die sogenannte Pyruvatsynthase, arbeiten kann. Dieses Enzym ist für die Assimilation von Acetyl-CoA (Produkt des „Rückwärts-Zyklus“) verantwortlich. 

Die hohe CO2-Konzentration treibt die Pyruvatsynthase in Richtung der Carboxylierung. Dadurch wird letztlich auch der Citratzyklus in die Rückwärtsrichtung getrieben und ermöglicht die Umwandlung von CO2 in Biomasse.

Schnelles Umschalten ohne Genregulation

Der „Rückwärts-Zyklus“ unter Beteiligung von Citratsynthase ist bioinformatisch nicht leicht vorhersagbar, da es keine Schlüsselenzyme gibt, nach denen man in den Bakterien suchen und deren Präsenz man als Indiz für den Weg betrachten kann. Die Forscher gingen daher einen unkonventionellen Weg und nutzten die in Hippea maritima und Desulfurella acetivorans nachgewiesenen hohen Mengen an der Citratsynthase als Erkennungsmerkmal für bioinformatische Analysen. 

Mit einem speziellen Analyse-Werkzeug gelang es ihnen, Vorhersagen über die Produktion einzelner Proteine zu machen und so bei vielen anaeroben Organismen vorherzusagen, ob große Mengen an Citratsynthase gebildet werden und sie dadurch den „Rückwärts-Zyklus“ zur autotrophen (Biomasse aufbauenden) CO2-Fixierung nutzen könnten oder nicht.

Die Wissenschaftler zeigten auch, dass keine Genregulation für das Umschalten von der oxidativen („vorwärts“) zur reduktiven („rückwärts“) Richtung notwendig ist. „Das heißt, die Zellen können spontan sehr schnell reagieren, je nachdem, welche Kohlenstoffquelle gerade in ihrer Umgebung vorhanden ist“, sagt Ivan Berg. „Entweder sie nutzen die reduktive Richtung, um CO2 zu fixieren, wenn viel CO2 vorhanden ist, oder die oxidative Richtung, wenn eine andere Kohlenstoffquelle zur Verfügung steht.“

Rückwärtslaufender Citratzyklus häufiger als gedacht

„Es ist vorstellbar, dass noch viele andere Organismen diesen Zyklus zur CO2-Fixierung nutzen“, sagt Ivan Berg. „Unsere Erkenntnisse passen zu den Ergebnissen anderer aktueller Studien, die die potenzielle weitere Verbreitung des reversen oxidativen Citratzyklus hervorheben.“ 

Die Forscherinnen und Forscher vermuten: Solche CO2-konzentrationsabhängigen Wege für die Assimilation von Kohlenstoffdioxid waren auf der Ur-Erde weitverbreitet, da die CO2-Konzentration damals sehr hoch war. Der Stoffwechselweg ist also möglicherweise ein Relikt aus der frühen Entwicklung des Lebens. 

Neben der neu entdeckten Route des reversen Citratzyklus über die Citratsynthase nutzen viele Bakterien für die Citratspaltung den energetisch weniger effizienten Weg durch die ATP-verbrauchende Citratlyase-Reaktion. 

„Es war rätselhalft, warum diese energetisch ‚teure‘ Version des Weges in der Natur zu finden ist, wenn im Hinblick auf die Energiebilanz doch die viel günstigere Alternative über die Rückreaktion der Citratsynthase existiert. Jetzt wissen wir, dass dies der für gewöhnlich niedrigen CO2-Konzentration in der Umgebung geschuldet ist. Die günstige Alternative funktioniert dort nicht“, unterstreicht Wolfgang Eisenreich.

Die Erkenntnisse der Wissenschaftler könnten auch für die Biotechnologie interessant sein. Das Wissen über die CO2-Konzentrationsabhängigkeit kann genutzt werden, autotrophe Organismen mit dem „Rückwärts-Zyklus“ durch höhere CO2-Konzentrationen dazu zu bringen, einen Ausgangsstoff effektiver in das gewünschte Produkt umzuwandeln.

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