Hirnschäden durch Weichmacher?
Wirkungen von Bisphenolen auf Nervenzellen untersucht
Peter Machnik
Bisphenole sind Weichmacher, die weltweit in einer großen Zahl von Kunststoff-Produkten enthalten sind – beispielsweise in Lebensmittelverpackungen, Plastikgeschirr, Trinkflaschen, Spielzeug, Zahnfüllungen oder Babyschnullern. In den letzten Jahren wurden bereits zahlreiche gesundheitliche Risiken, insbesondere von Bisphenol A (BPA), aufgedeckt. Das Bayreuther Forschungsteam um Dr. Peter Machnik am Lehrstuhl für Tierphysiologie (Prof. Dr. Stefan Schuster) hat jetzt erstmals die Auswirkungen von Weichmachern auf die Signalübertragung zwischen Nervenzellen im erwachsenen Gehirn untersucht. Die Studie erstreckt sich nicht nur auf BPA, sondern auch auf Bisphenol S (BPS), das häufig als weniger gesundheitsschädlich angesehen wird. Das Ergebnis: Beide Weichmacher beeinträchtigen die Kommunikation zwischen den Nervenzellen des Gehirns.
Dauerhafte Schädigungen des Nervensystems
Die schädlichen Auswirkungen auf das Gehirn betreffen vor allem das empfindliche Gleichgewicht unterschiedlicher Nervenfunktionen: Einige Hirnzellen übertragen Signale, die in nachgeschalteten Zellen einen Erregungszustand auslösen; andere Hirnzellen wiederum haben die Funktion, nachgeschaltete Zellen zu hemmen. Nur wenn beide Funktionen aufeinander abgestimmt sind, ist das zentrale Nervensystem intakt. „Es ist bekannt, dass zahlreiche Störungen im Nervensystem von Wirbeltieren dadurch ausgelöst werden, dass Erregungssignale und Hemmungssignale nicht oder nur unzulänglich koordiniert sind. Umso bedenklicher ist es, dass die Weichmacher BPA und BPS genau diese Koordination erheblich beeinträchtigen“, erklärt Dr. Peter Machnik, Hauptautor der Studie.
„Es hat uns überrascht, wie viele lebenswichtige Hirnfunktionen der Fische durch die in zahlreichen Industriebranchen verwendeten Weichmacher geschwächt werden. Diese Schädigungen treten, wie wir zeigen konnten, nicht sofort ein. Aber wenn die Gehirnzellen einen Monat lang geringen Mengen von BPA oder BPS ausgesetzt sind, sind die Schäden unübersehbar“, sagt die Bayreuther Doktorandin Elisabeth Schirmer, Erstautorin der Studie. Wie sich herausgestellt hat, beeinflussen die Weichmacher das Aktionspotenzial von Gehirnzellen. Sie verändern die chemische und elektrische Übertragung von Signalen durch die Synapsen. Zudem stören sie die Schaltkreise, die für die Wahrnehmung und Verarbeitung von akustischen und visuellen Reizen wichtig sind.
Untersuchungen an Mauthnerzellen in Goldfischen
Die Entdeckung der Schädigungen durch Weichmacher sind aus detaillierten Untersuchungen an lebenden Goldfischen hervorgegangen. Im Fokus standen die beiden größten Nervenzellen im Gehirn der Fische, die Mauthnerzellen. Hier laufen alle Sinnesreize zusammen, die rasch und auf präzise koordinierte Weise verarbeitet werden müssen, wenn sich Fressfeinde nähern. In diesem Fall lösen die Mauthnerzellen lebensrettende Fluchtreaktionen aus. Aufgrund dieser überlebenswichtigen Funktion haben sie im Verlauf der Evolution eine ausgeprägte Robustheit entwickelt. Mauthnerzellen sind imstande, schädigende Einflüsse bis zu einem gewissen Grad abzuwehren oder nachträglich zu kompensieren. Umso stärker fällt es ins Gewicht, dass Weichmacher in der Lage sind, beträchtliche Schäden in diesen Zellen anzurichten.
Übertragbarkeit der Ergebnisse auf den Menschen – Forderung nach alternativen Weichmachern
„Die durch Untersuchungen an Fischgehirnen gewonnenen Erkenntnisse rechtfertigen die Einschätzung, dass BPA und BPS das Gehirn erwachsener Menschen ebenfalls in gravierender Weise schädigen können. Vor diesem Hintergrund ist es dringend geboten, dass Wissenschaft und Industrie neue Weichmacher entwickeln, die diese Bisphenole ersetzen können und gesundheitlich unbedenklich sind“, sagt Dr. Peter Machnik. Prof. Dr. Stefan Schuster fügt hinzu: „Die Effizienz der Forschungstechniken, die wir bei unserer Studie angewendet haben, kann bei der Entwicklung alternativer Weichmacher eine wertvolle Hilfe sein. Diese Techniken machen es möglich, schnell und kostengünstig zu testen, wie sich die dafür infrage kommenden Substanzen auf Gehirnzellen auswirken.“