Ein Gen sorgt für Schutz oder Zerstörung
Forscher entdecken neue Funktion der weit verbreiteten, aber wenig bekannten ENDOU-Enzymfamilie
Ralf Baumeister
Die Forschenden untersuchten den Fadenwurm C. elegans, der bei solchen Studien sehr oft zum Einsatz kommt. Mehr als 60 Prozent der Gene ähneln sich bei Wurm und Mensch, darunter auch eines für ENDOU, dort ENDU-2 genannt. Die gängige Theorie der Tumorentstehung geht davon aus, dass Zellen erst dann zu Krebszellen werden, wenn sich in ihren Genen Fehler anreichern. Diese entstehen zum Beispiel durch Strahlen, Chemikalien oder das Altern. Qi zeigte bereits 2017, dass solche Fehler nicht in den Krebszellen selbst auftreten müssen, sondern auch woanders im Körper entstehen können – die Tumoren werden sozusagen ferngezündet. Die Forschenden vermuteten, dass die geschädigten Zellen dazu Signale aussenden, die dann die anderen Gewebe umprogrammieren. Das Signal dazu, ENDU-2, haben sie jetzt entdeckt.
„ENDOU und ENDU-2 werden nicht nur gezielt von gestressten Zellen ausgeschleust und im Körper herumgeschickt, sie können auch am Herkunftsort und in den Zielzellen an die Boten-mRNA von sehr vielen Genen binden“, erläutert Qi. Diese Boten-mRNAs sind die Arbeitskopien der Gene und werden als Blaupause für die Produktion aller Proteine und Enzyme gebraucht. Überraschend für die Forscherin war, dass ENDU-2 bei Stress zwei unterschiedliche Funktionen ausführen kann: Am Herkunftsort zerschneidet es die mRNA. Das reduziert den Stoffwechsel und verhindert, dass der sowieso schon gestresste Organismus fehlerhafte neue Proteine herstellt. Am Zielort bleibt die mRNA intakt, und ENDU-2 hilft diesen Zellen zu überleben. Dafür muss es aber genauestens dosiert werden, sonst können daraus Tumore entstehen.
Eine Schlussfolgerung daraus könnte sein, dass der Wurm bei großem Stress gezielt die Embryonen, also seinen Nachwuchs, beschützt. „Auf diese Weise scheint gewährleistet, dass der Organismus immer dann, wenn die Selbstheilungskräfte nicht für Mutter und Kind ausreichen, wenigstens für das Überleben der nächsten Generation sorgt“, mutmaßt Prof. Dr. Ralf Baumeister, der ebenfalls an der Studie beteiligt war und in dessen Abteilung Qi eine Arbeitsgruppe leitet. Die Freiburger Forschenden wissen inzwischen, dass der Verlust von ENDU-2 auch Stammzellen umprogrammieren kann – sie verlieren dann innerhalb weniger Generationen ihre Unsterblichkeit. Im nächsten Schritt will das Team erforschen, welche Bedingungen ENDU-2 dazu veranlassen, zwischen Zerstörung und Schutz zu unterscheiden.