Generation Corona: Wie belastet sind Jugendliche in der Pandemie?

Geschlossene Schulen, keine Treffen mit zwei oder mehr Freunden, kaum Vereinssport: Das Coronavirus fordert Jugendlichen viel ab

16.02.2021 - Deutschland

(dpa) Am Anfang der Pandemie wurden sie oft als verantwortungslose Partymacher beschrieben, inzwischen mehren sich Berichte über eine psychisch stark belastete Generation Corona. Wie kommen Jugendliche durch die Corona-Krise? Wie geht es ihnen, je länger der Winter-Lockdown mit seinen Schulschließungen dauert?

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Symbolbild

Mehreren Studien zufolge ist der seelische Druck bei jungen Menschen im Vergleich zum Frühjahr gestiegen. Fast jedes dritte Kind im Alter zwischen 7 und 17 Jahren zeige inzwischen psychische Auffälligkeiten, berichten etwa die Autoren der Hamburger Copsy-Studie. Risikofaktoren seien ein geringes Bildungsniveau und begrenzter Wohnraum. Vorher waren es laut Untersuchung zwei von zehn Kindern.

In Berlin kommen seit Beginn der Corona-Pandemie mehr Kinder und Jugendliche etwa mit Ängsten, Essstörungen oder Depressionen zur Behandlung in psychiatrische Kliniken, wie aus einer Sonderauswertung der Krankenkasse DAK hervorgeht. Die Zahl solcher Einweisungen hat sich demnach in der Hauptstadt im ersten Halbjahr 2020 fast verdoppelt. «Es ist insgesamt ein Riesenthema unter Kollegen», sagt Jugendpsychiater Martin Holtmann, Beirat der Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Viele Stationen bundesweit seien in diesem Winter voll, Sprechstunden überlaufen.

Christoph Correll, Direktor der Klinik für Kinder-und Jugendpsychiatrie auf dem Charité-Campus Virchow, sagt, was in seiner Klinik häufiger vorkommt als vor der Pandemie: «sehr magere essgestörte Mädchen, noch dünner als früher» zum Beispiel. «Wahrscheinlich, weil Lehrer, Freundinnen oder Kinderärzte als Korrektiv fehlen.» Auch Hautritzen als zerstörerische Bewältigungsstrategie komme häufiger vor.

Jugendforscher der Universitäten Hildesheim und Frankfurt stellten Belastungen fest: Knapp 46 Prozent von rund 7000 befragten 15- bis 30-Jährigen stimmten der Aussage voll beziehungsweise eher zu, Angst vor der Zukunft zu haben. «Es gibt ein hohes Verantwortungsbewusstsein in der Pandemie, aber auch eine große Frustration darüber, wie das Leben gerade reduziert ist», sagt die Hildesheimer Sozialpädagogin Severine Thomas.

«Nach wie vor besteht eine große Angst, abgehängt zu werden, die nächste Klausur, vielleicht sogar das Abitur nicht zu schaffen», sagt Gustav Grünthal aus Osterholz-Scharmbeck. Den 17-Jährigen ärgert enorm, dass Politiker behaupten, junge Leute seien unvernünftig. «Das Gros der Jugendlichen hält sich an die Corona-Regeln», betont er.

Die Junge Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin beklagte vor kurzem eine «Zunahme mittlerweile schwer zu rechtfertigender massiver Einschränkungen und Gefährdungen des Kindeswohls». Kindern und Jugendlichen fehlten neben ihren Freunden, dem Erwerb sozialer Kompetenzen und dem spielerischen Lernen auch der geregelte Tagesablauf sowie außerschulische Aktivitäten.

«Die Jugendlichen werden depressiver, Ängste und Essstörungen nehmen zu», sagt Gerd Schulte-Körne, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie der Universität München. «Wir haben eine große Inanspruchnahme im zweiten Lockdown, es gibt so viel Not in den Familien.»

Vergangene Woche schickte Julia Asbrand, Psychologin und Wissenschaftlerin an der Berliner Humboldt-Universität, im Namen vieler Kollegen einen offenen Brief an die Bundesregierung. Bundesweit zeigten sich bei Kinder- und Jugendpsychiatern sowie Psychotherapeuten vermehrt Aggressionen, Schlafstörungen, Schulängste, Essstörungen, Depressionen und Drogenmissbrauch bei jungen Menschen, hieß es darin.

«Menschen sind soziale Wesen, die nicht nur in der Kernfamilie funktionieren», sagt Asbrand. Bei Jugendlichen sei das ein ganz großes Thema. «Sie haben als Aufgabe und Ziel, sich abzugrenzen, also aus der Familie hinauszugehen und sich andere Kontakte zu suchen. Und gerade das ist jetzt nicht möglich.»

Die Autonomie-Entwicklung, das sich selbst Erproben und Erleben, sei coronabedingt eingeschränkt, gleichzeitig erlebten viele Jugendliche ihre Eltern extrem gestresst, sagt auch Jugendpsychiater Schulte-Körne. Zur Prävention psychischer Erkrankungen in der Pandemie hat sein Klinik-Team die Internet-Seite «Corona und du» eingerichtet. Dort finden sich Tipps zu Stressabbau, positivem Denken, Kontakthalten mit Freunden sowie zu Ernährung und Bewegung.

Die Altersspanne zwischen 10 und 18 Jahren sei ohnehin eine besonders vulnerable Lebensphase, erklärt Marcel Romanos, Direktor am Zentrum für Psychische Gesundheit der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum Würzburg. «Da passiert viel: körperlich, hormonell, psychisch.» In der Pubertät steige das Risiko für bestimmte psychische Erkrankungen wie Depressionen, emotionale Störungen sowie selbstverletzendes Verhalten.

Insgesamt von einer verlorenen Generation Corona zu sprechen, hält der Jugendpsychiater allerdings für übertrieben. «Kinder sind grundsätzlich sehr anpassungsfähig und haben gute Kompensationsstrategien», ist Romanos überzeugt. So könne der Austausch mit Freunden derzeit über soziale Medien beziehungsweise Videospiele funktionieren oder der Sport auch allein im Freien.

Doch bei jeder Verlängerung des Lockdowns müssen die Jugendlichen weiter durchhalten. Belastend sei die fehlende Planbarkeit - besonders für diejenigen, die kurz vor dem Schulabschluss stünden, sagt Julia Seefried aus dem schwäbischen Unterthürheim. «Es gibt keine Möglichkeit für uns, über die nächste Woche hinauszudenken.» Die 16-Jährige beteiligte sich an der Entwicklung der Corona-Forderungen des Stifterverbandes. Zu ihnen zählen eine transparente Kommunikation mit Jugendlichen sowie mehr politische Teilhabe.

Am 11. März veranstaltet das Bundesfamilienministerium ein Jugend-Hearing, bei dem es um «Corona, Jugend und die Folgen» gehen soll. Dies kündigte Ministerin Franziska Giffey nach einem digitalen Treffen mit acht 15- bis 24-Jährigen an. Die besonderen Herausforderungen für die junge Generation und ihre Sorgen müssten stärker berücksichtigt werden, sagt die SPD-Politikerin. «Es geht dabei nicht nur um verpassten Unterricht.» Für die persönliche Entwicklung seien soziale Begegnungen und der direkte Kontakt zu Freunden sehr wichtig. Giffey betont: «Es sind im letzten Jahr nicht nur Bildungslücken, sondern auch Bindungslücken entstanden.»

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