Nervenverbindungen für Geschicklichkeit: Wie das Gehirn feinmotorische Meisterleistungen vollbringt
Spaghetti-Essen erfordert ein hohes Mass an Feinmotorik
University of Basel, Biozentrum
Ganz selbstverständlich nehmen wir einen Stift in die Hand und schreiben unseren Namen oder greifen nach der Gabel, um Spaghetti mit Tomatensauce zu essen. Den Stift richtig anzufassen oder die Spaghetti ohne zu kleckern zum Mund zu führen, erfordert präzise Armbewegungen und jede Menge Fingerfertigkeit.
Hinter all unseren Bewegungen verbirgt sich ein perfektes Zusammenspiel zwischen den Nervenzellen im Gehirn und Rückenmark, und den Muskeln. Doch welche Verbindungen steuern die Feinmotorik der Arme, Hände und Finger? Dieser Frage ist das Team von Prof. Dr. Silvia Arber nachgegangen. Die Neurobiologen, welche am Biozentrum der Universität Basel und am Friedrich Miescher Institut for Biomedical Research (FMI) forschen, beschäftigen sich schon lange damit, wie das Gehirn Bewegungsabläufe kontrolliert.
Nervenzellen im Hirnstamm steuern Feinmotorik
Wie die Forschenden nun am Beispiel von Mäusen zeigen, ist eine bestimmte Region im Hirnstamm für verschiedene feinmotorische Tätigkeiten der Vorderpfoten verantwortlich. Für ihre Untersuchungen verwendeten sie sogenannte optogenetische und virale Methoden, um Nervenzellen zu markieren und ihre Aktivität bei bestimmten Bewegungen sicht- und messbar zu machen. So konnte das Team in dieser Region vier Gruppen von Nervenzellen lokalisieren und ihnen eine spezifische Funktion zuschreiben. So steuert eine Gruppe von Nervenzellen zum Beispiel das Ausstrecken der Pfote, eine andere das Greifen des Futters.
Der Hirnstamm ist der entwicklungsgeschichtlich älteste Teil des Gehirns und geht fliessend ins Rückenmark über. Er ist eine wichtige Schaltzentrale zwischen den motorischen Zentren zur Bewegungsplanung im Gehirn und den Netzwerken für das Ausführen von Bewegungen im Rückenmark. Im Rückenmark befinden sich auch die Motoneuronen, die direkt mit Muskelzellen verbunden sind und die Kontraktion der Muskeln auslösen. Erst seit wenigen Jahren ist bekannt, dass der Hirnstamm aus vielen Regionen mit spezialisierten Nervenzellverbindungen besteht, die komplexe Bewegungsabläufe steuern.
Karte von Schaltkreisen für Feinmotorik
Arbers Team hat in ihrer Studie die räumliche Anordnung der Nervenverbindungen in einer dieser Regionen des Hirnstamms namens «lateral rostral medulla» (latRM) bestimmt und die Kommunikationswege nachgezeichnet. So konnten sie unterschiedliche Tätigkeiten einzelnen Gruppen von Nervenzellen zuordnen. «Einfachere Handlungen, wie das Ausstrecken der Vorderpfote zum Futter, erfolgen über spezifische latRM-Nervennetzwerke, welche direkt das Rückenmark ansteuern», erklärt Erstautor Ludwig Ruder.
Das Ausführen komplexerer Bewegungen, die auch die Finger miteinschliessen, also das Greifen oder das Zum-Mund-Führen eines Futterstückchens, steuern insbesondere solche latRM-Neuronen, die mit Nervenzellen in anderen Regionen des Hirnstamms verknüpft sind. «Für die Fingerfertigkeit sind diese internen Verbindungen und Netzwerke unentbehrlich», sagt Arber. «Die Nervenzellpopulationen im latRM-Bereich kontrollieren ganz spezifisch die Feinmotorik der vorderen Gliedmassen. Aber nur indem die Nervenzellen verschiedener Regionen des Hirnstamms miteinander kommunizieren, gelingen so komplexe und präzise Bewegungsabläufe wie das Werfen, Greifen oder Schreiben.»
Kontrolle der Bewegungsabläufe bei Mensch und Tier ähnlich
Die räumliche Trennung der Nervenzellpopulationen nach Aufgaben und ihre Verknüpfungen geben Aufschluss über die Organisation des Hirnstamms und die Steuerung von Körperbewegungen, in diesem Fall der Feinmotorik. Viele neuronale Schaltkreise des Hirnstamms sind in Mensch und Tier ähnlich, daher lassen sich Rückschlüsse darauf ziehen, welche Nervenzell-Populationen welche Bewegungen steuern oder wie Krankheiten und Verletzungen zu Einschränkungen der feinmotorischen Fähigkeiten führen können.