Die menschlichen Helfer von SARS-CoV-2

Zielstrukturen für Medikamente identifiziert

23.12.2020 - Deutschland

Wie alle Viren ist auch das neue Coronavirus auf die Hilfe der menschlichen Wirtszelle angewiesen. Die Funktionsträger der Zelle, die Proteine, ermöglichen als Rezeptoren dem Virus den Eintritt in die Wirtszelle oder helfen ihm bei seiner Vermehrung. Wissenschaftler vom Berlin Institute of Health (BIH) und von der Charité – Universitätsmedizin Berlin haben nun in einer großen Studie die entsprechenden Gene der Helferproteine untersucht. Dabei stießen sie auf eine Vielzahl an Varianten, die die Menge oder die Funktion der Proteine beeinflussen und damit auch ihre Fähigkeit, das Virus zu unterstützen. Sie verraten somit mögliche Zielstrukturen für neue Medikamente.

geralt, pixabay.com

Symbolbild

Eine Infektion mit dem neuen Coronavirus SARS-CoV-2 verläuft wie jede Virusinfektion nach einem bestimmten Schema ab: Zunächst binden die Viren an Rezeptor-Proteine auf der Oberfläche der menschlichen Wirtszellen in Rachen, Nase oder Lunge, anschließend gelangen sie in die Zelle hinein, wo sie sich mithilfe der Wirtszellmaschinerie vermehren. Die neu gebildeten Viruspartikel bringen die befallene Zelle zum Platzen und infizieren weitere Zellen. Sobald das Immunsystem das Geschehen bemerkt, kommt ein Abwehrmechanismus in Gang, mit dem Ziel, sowohl die Viren als auch virusbefallene Zellen zu zerstören und zu entfernen. Läuft alles seinen geregelten Gang, ist die Infektion spätestens nach zwei Wochen ausgestanden. Für all diese Prozesse ist das Virus allerdings auf Proteine des Menschen bzw. Wirtes angewiesen.

Genvarianten beeinflussen der Verlauf von COVID-19

„Bei schweren COVID-19 Verläufen ist dieser geregelte Gang außer Kontrolle geraten und das Immunsystem verursacht eine überschießende Entzündungsreaktion, die nicht nur virusbefallene Zellen angreift, sondern auch gesundes Gewebe“, sagt Claudia Langenberg, BIH Professorin für Computational Medicine und Leiterin der jetzt publizierten Untersuchung. „Natürlich vorkommende Variationen der Gene, die den Bauplan für diese menschlichen Eiweiße beeinflussen, können ihre Konzentration oder Funktion verändern und somit eine Ursache für den unterschiedlichen Verlauf der Erkrankung sein“, sagt Claudia Langenberg.

Das Team kennt sich aus mit genetischen Varianten, die die Konzentration oder Struktur von Proteinen und anderen Molekülen im menschlichen Blut beeinflussen. „Als molekulare Epidemiologen untersuchen wir die Vielfalt in den Genen, also den Bauanleitungen der Proteine, ganzer Bevölkerungsgruppen, um so Anfälligkeiten für Krankheiten aufzudecken, deren Ursache im Zusammenspiel vieler kleiner Abweichungen liegt“, erklärt die Epidemiologin, die erst im September von der Medical Research Council Epidemiology Unit an der University of Cambridge ans Berlin Institute of Health wechselte. „Diese Erfahrungen und Datensätze wollten wir nun für die COVID-19-Epidemie nutzen und der wissenschaftlichen Gemeinschaft zur Verfügung stellen.“

Zielstrukturen für Medikamente identifiziert

„Wir haben 179 Proteine, von denen bekannt war, dass sie bei einer SARS-CoV-2-Infektion beteiligt sind, auf ihre natürlich vorkommenden Varianten untersucht“, berichtet Dr. Maik Pietzner, Erstautor der Studie und Wissenschaftler bei Langenberg im Labor. „Wir konnten dabei schon auf Ergebnisse zurückgreifen, die auf den ersten COVID-19 Patient*innen der Charité beruhten. Das war möglich, da wir eng mit der Gruppe von Professor Markus Ralser zusammenarbeiten, dem Direktor des Instituts für Biochemie der Charité, die über diese Ergebnisse schon zuvor berichtet hatten.

Pietzner und seine Kollegen konnten Daten einer umfangreichen Bevölkerungsstudie nutzen, die MRC-Fenland-Kohorte, die Informationen von mehr als 10.000 Studienteilnehmer enthält. Dabei entdeckten sie 38 Zielstrukturen für bereits verfügbare Medikamente sowie Hinweise darauf, dass bestimmte Proteine, die mit dem Virus interagieren, auch das Immunsystem beeinflussen. „Unsere Ergebnisse helfen zudem, Risikofaktoren für mitunter schwere Verläufe von COVID-19 besser zu verstehen, so konnten wir zeigen, dass Proteine der Blutgerinnung von der gleichen genetischen Variante beeinflusst werden, die auch das Risiko an COVID-19 zu erkranken erhöht und die ursächlich die Blutgruppe 0 bestimmt“, berichtet Maik Pietzner.

Die Ergebnisse hat das Team sofort auf einem Webserver, der mit Kollegen des Helmholtz Zentrum München entwickelt wurde, öffentlich zur Verfügung gestellt (https://omicscience.org/apps/covidpgwas/). Seither nutzen Wissenschaftler in aller Welt die Daten, um Zielstrukturen für neue Medikamente zu identifizieren oder um den Verlauf von COVID-19 besser zu verstehen. „Noch bevor unsere Arbeit offiziell veröffentlicht wurde, sind bereits Artikel erschienen, die unsere Erkenntnisse nutzen“, freut sich Claudia Langenberg. „Genau das haben wir uns erhofft!“

Originalveröffentlichung

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