Forscher verbessern neuronale Reprogrammierung durch Manipulation der Mitochondrien

Der Ersatz abgestorbener Nervenzellen ist der heilige Gral der Neurowissenschaften

18.11.2020 - Deutschland

Ein neuer vielversprechender Ansatz ist die Umwandlung von Gliazellen in neue Nervenzellen. Die Verbesserung der Effizienz dieser Umwandlung oder Reprogrammierung nach Gehirnverletzungen ist ein wichtiger Schritt für die Entwicklung zuverlässiger regenerativer Therapien. Forschende des Helmholtz Zentrums München und der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) identifizierten nun den Zellstoffwechsel als Hürde im Reprogrammierungsprozess. Indem sie mitochondriale Proteine, die in Nervenzellen gehäuft vorkommen, früh im Prozess aktivieren, erzielte die Forschungsgruppe eine schnellere und viermal höhere Umwandlungsrate.

© Helmholtz Zentrum München

Reprogrammierte Neuronen bei Expression des proneuralen Faktors Ascl1 und neuronale mitochondriale Proteine

Neuronen (Nervenzellen) erfüllen wichtige Funktionen im Gehirn, bspw. das Verarbeiten von Informationen. Bei vielen Erkrankungen des Gehirns, sei es durch Verletzung oder neurodegenerative Prozesse, sterben Neuronen unwiderruflich ab. In der regenerativen Medizin sucht man deshalb nach Möglichkeiten, um Neuronen wiederherzustellen. Dabei gibt es drei Ansätze: Transplantation, die Anregung von Stammzellen im Gehirn und die direkte Reprogrammierung von nicht-neuronalen Zelltypen in funktionale Neurone.

Wissenschaftler des Helmholtz Zentrums München und der LMU haben in den letzten Jahren für die direkte Umwandlung von Gliazellen in Neuronen Pionierarbeit geleistet und diesen innovativen Ansatz auch ursprünglich entdeckt. Gliazellen sind der am häufigsten vorkommende Zelltyp im Gehirn. Besonders ist, dass sie sich nach einer Verletzung vermehren können. Derzeit können Forschende Gliazellen zwar in Neuronen umwandeln, dabei sterben jedoch viele Zellen ab. Dies bedeutet, dass nur wenige Gliazellen zu funktionalen Nervenzellen werden, was den Prozess ineffizient macht.

Auf neuen Pfaden

Magdalena Götz und ihr Team beschäftigten sich mit möglichen Hürden im Reprogammierungsprozess und begaben auf sich auf einen unerforschten Pfad. Bisherige Studien konzentrierten sich vor allem auf die genetischen Aspekte der direkten neuronalen Umwandlung. Die Gruppe um Magdalena Götz hingegen entschied sich, die Rolle der Mitochondrien und des Zellstoffwechsels genauer zu betrachten. Ausgangspunkt für diese neue Route waren frühere Arbeiten in Zusammenarbeit mit der Gruppe von Marcus Conrad am Helmholtz Zentrum München. Dort zeigte man, dass Zellen aufgrund eines Überschusses an reaktiven Sauerstoffspezies (Sauerstoffradikalen) im Reprogrammierungsprozess absterben.

„Wir gingen davon aus, dass wir die Reprogammierung effizienter machen können, wenn wir den Stoffwechsel von Gliazellen so umwandeln, dass er dem Stoffwechsel von Neuronen gleicht“, erklärt Gianluca Russo, Erstautor der Studie. Auf Grund ihrer bisherigen Daten konzentrierte sich die Gruppe auf Mitochondrien, die „Kraftwerke“ der Zelle. Sie extrahierten die Mitochondrien von Neuronen und Astrozyten (das sind bestimmte Gliazellen) von Mäusen. Dann verglichen sie gemeinsam mit Stefanie Haucks Proteom-Expertengruppe am Helmholtz Zentrum München die Unterschiede in den mitochondrialen Proteinen. Dabei fanden sie heraus, dass sich das Proteom der Mitochondrien von Neuronen und Astrozyten um zwanzig Prozent unterscheiden. Das bedeutet, dass im direkten Vergleich zwischen den beiden Zelltypen jedes fünfte mitochondriale Protein verschieden ist.

Reprogrammierte Neurone aktivieren nur spät neuronale mitochondriale Proteine

„Da wir wussten, wie sehr sich das mitochondriale Proteom von Neuronen und Astrozyten unterscheidet, wollten wir herausfinden, ob reprogrammierte Neuronen, die aus Astrozyten entstanden sind, tatsächlich das mitochondriale Proteom eines Neurons besitzen oder nicht”, beschreibt Giacomo Masserdotti, einer der Letztautoren, das weitere Vorgehen der Studie. In einem Standard-Reprogrammierungsprozess gelingt es, Gliazellen wie Astrozyten innerhalb von wenigen Tagen in Neuronen umzuwandeln, die sich dann innerhalb von zwei Wochen zu funktionalen Neuronen weiterentwickeln. „Wir sahen, dass Zellen erst relativ spät in dem Reprogrammierungsprozess, nach einer Woche, mitochondriale Proteine besitzen, die typisch für Neuronen sind. Da die meisten Zellen vorher sterben, könnte dies ein Hindernis sein. Zudem zeigen die Zellen, die nicht konvertiert sind, immer noch die mitochondrialen Proteine der Astrozyten.“ Daraus schlossen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dass das Ausbleiben der Aktivierung neuronaler mitochondrialer Proteine den Reprogrammierungsprozess blockieren könnte.

Effizientere Umwandlung durch Manipulation des Stoffwechsels

Zur Überwindung dieser Hürde nutzte die Gruppe CRISPR/Cas9-Technologie in enger Zusammenarbeit mit den Arbeitsgruppen von Stefan Stricker und Wolfgang Wurst am Helmholtz Zentrum München. Mit neuen Tools, die diese Gruppe zur Aktivierung von Genen entwickelt hat, konnten mitochondriale Proteine, die gehäuft in Neuronen vorkommen, in einem frühen Stadium des Reprogrammierungsprozesses von Astrozyten in Neuronen angeschaltet werden. Die Manipulation von nur ein bis zwei mitochondrialen Proteinen führte zu einer viermal höheren Anzahl von Neuronen. Darüber hinaus entwickelten sich die Neuronen schneller und reiften auch schneller aus, wie die fortlaufende Live-Bildgebung zeigte.

„Ich war erstaunt, dass die geänderte Expression so weniger mitochondrialer Proteine die Umwandlung derart beschleunigte“, sagt Magdalena Götz, Leiterin der Studie. „Dies zeigt uns, wie wichtig die Unterschiede der mitochondrialen Proteine bei verschiedenen Zellen sind. Und tatsächlich sind wir gerade gemeinsam mit dem Proteom-Expertenteam von Stefanie Hauck am Helmholtz Zentrum München dabei, weitere organellare Unterschiede zwischen den Zelltypen zu entdecken. Sie unterscheiden sich teilweise in bis zu 70 Prozent. Mit diesem Wissen werden wir künftig reprogrammierte Neurone bilden können, die den körpereigenen Neuronen so ähnlich wie möglich sind – nach Gehirnverletzungen in vivo.“

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