Wie sich das Immunsystem an Viren erinnert

T-Gedächtniszellen entstehen früher als gedacht

06.11.2020 - Deutschland

Damit ein Mensch gegen eine Krankheit immun werden kann, müssen sich T-Zellen nach dem Kontakt mit dem Erreger zu Gedächtniszellen entwickeln. Wie viele das tun, hänge vor allem von der Stärke der initialen Immunreaktion ab, war bislang das Verständnis. Ein Forschungsteam der Technischen Universität München (TUM) hat dies nun infrage gestellt.

Susanne Dürr / TUM

Forschungsgruppenleiter Dr. Veit Buchholz (links) und Erstautor Lorenz Mihatsch vom Institut für Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene.

Gelangt ein Virus in den Körper, nehmen bestimmte Zellen des Immunsystems den Erreger auf. Sie transportieren ihn in die Lymphknoten und präsentieren seine Bruchstücke, sogenannte Antigene, dort den für Viren zuständigen CD8+-T-Zellen. Jede dieser Zellen trägt einen einzigartigen T-Zell-Rezeptor auf der Oberfläche, der bestimmte Antigene erkennen kann. Nur sehr wenige dieser T-Zell-Rezeptoren passen aber zu den Antigenen des neuen Erregers.

Um der Infektion Herr zu werden und möglichst viel Abwehrkraft gegen den Erreger aufzubringen, beginnen sich diese wenigen Antigen-spezifischen T-Zellen stark zu vermehren. Dabei entwickeln sie sich zu sogenannten T-Effektorzellen, die Virus-infizierte Körperzellen abtöten und selbst ebenfalls absterben, sobald das Virus besiegt ist. Ein Teil dieser kurzlebigen Effektorzellen, so bislang die Theorie, verwandelt sich in T-Gedächtniszellen, die langfristig im Organismus überleben. Für den Fall, dass derselbe Erreger später noch einmal in den Körper gelangt, gibt es dann schon Gedächtniszellen, die den Eindringling beim zweiten Mal sehr viel schneller und wirksamer bekämpfen als bei der ersten Infektion.

Gedächtniszellen und ihre Abstammung

„Dass sich aus aktivierten T-Zellen zunächst Effektorzellen und dann erst langsam Gedächtniszellen entwickeln, ist die gängige Lehrmeinung“, sagt Dr. Veit Buchholz, Facharzt für Mikrobiologie und Arbeitsgruppenleiter am Institut für Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene der TUM. „Wir glauben aber, dass das so nicht stimmt. Denn es würde bedeuten, dass die Anzahl der Gedächtniszellen umso größer sein müsste, je mehr Effektorzellen nach Kontakt mit dem Erreger entstanden sind.“ Buchholz beobachtete mit seinen Kolleginnen und Kollegen einen anderen Verlauf und veröffentlichte die Erkenntnisse nun im Fachmagazin „Nature Immunology“.

„Wir haben die anti-viralen Immunantworten, die von einzelnen aktivierten T-Zellen ausgehen, in Mäusen untersucht und per Single Cell Fate Mapping die Abstammungslinien der Gedächtniszellen nachverfolgt“, berichtet Erstautor Dr. Simon Grassmann. „Auf Basis dieser Experimente konnten wir zeigen, dass bestimmte, aus einzelnen Zellen hervorgegangene ‚T-Zell-Familien‘ bis zu 1000-mal mehr ‚Gedächtnis‘ bilden als andere. Diese langfristig dominanten T-Zellfamilien waren den anderen während der frühen, von Effektorzellen bestimmten Phase der Immunreaktion jedoch klar unterlegen.“

Auf Einzelzellebene zeigt sich also, dass sich aus aktivierten T-Zellen schon viel früher als bisher angenommen entweder Effektor- oder Gedächtniszellen entwickeln: „Bereits während der ersten Woche nach der Konfrontation mit dem Erreger haben wir große Unterschiede in den Transkriptomen der vorhandenen T-Zellfamilien beobachtet“, sagt Lorenz Mihatsch, ebenfalls Erstautor der Studie. „Normalerweise sind CD8+-T-Zellen zu diesem Zeitpunkt reich an Molekülen, die der Abtötung von virusinfizierten Zellen dienen. Auf diese zytolytischen Moleküle haben wir in den langfristig dominanten T-Zellfamilien aber keinen Hinweis gefunden. Sie waren stattdessen schon früh ganz auf Gedächtnisentwicklung eingestellt.“

Optimierung von Impfstoffen

Die Erkenntnisse könnten künftig helfen, die Impfstoff-Entwicklung zu verbessern, sagt Veit Buchholz: „Um mit einer Impfung eine optimale Immunantwort zu erzeugen, muss der Körper möglichst viele Gedächtniszellen produzieren. Dazu ist es wichtig, die Programmierung der einzelnen T-Zellen genau zu verstehen.“ Buchholz’ Studie könnte möglicherweise auch nützlich sein, um in Zukunft früher zu erkennen, ob ein neuer Impfstoff wirkt. „Um die langfristige Stärke einer Immunantwort zu bestimmen, könnte es helfen, schon wenige Tage nach einer Impfung die Anzahl zentraler Gedächtnisvorläufer zu messen“, sagt Buchholz.

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