Alterndes Gehirn: Teil der angeborenen Immunabwehr reguliert Blut-Hirn-Schranke
Deutsch-Amerikanisches Forschungsteam hat Rolle des Komplementsystems bei Alterungsprozess des Gehirns nachgewiesen
© Jörg Köhl, Uni Lübeck.
Das Komplementsystem ist Teil der angeborenen Immunabwehr. Es besteht aus mehr als 40 Proteinen, die im Blut und als Rezeptoren auf der Oberfläche von Zellen vorkommen. Zu diesen Proteinen gehören die sogenannten Komplementfaktoren und deren Spaltprodukte, sowie Rezeptoren, die diese Spaltprodukte erkennen. Das System spielt eine wichtige Rolle bei der Abwehr von Mikroorganismen. Es signalisiert die Anwesenheit von Krankheitserregern sowie die Bindung von Antikörpern an Krankheitserreger, aber auch an körpereigene Strukturen. Durch Fehlregulation des Komplementsystems kann es jedoch auch im Verlauf von bestimmen Erkrankungen zu einer überschießenden Entzündungsreaktion kommen, die Gewebeschäden verursacht. Während die meisten Komplementproteine in der Leber produziert werden, ist seit längerem bekannt, dass sowohl Komplementfaktoren als auch Komplementrezeptoren davon unabhängig auch direkt im Gehirn produziert werden. Von besonderer Bedeutung ist der Komplementfaktor C3, der in zwei Teile gespalten werden kann, C3b und C3a. C3a löst seine biologische Wirkung dadurch aus, dass es an den C3a-Rezeptor bindet, der u.a. auf Gefäßendothelzellen, also den Zellen, die das Innere von Blutgefäßen auskleiden, und verschiedenen Gehirnzellen vorhanden ist.
In der jetzt publizierten Studie konnten die Forschenden zeigen, dass im alternden Gehirn die C3/C3a-Produktion zunimmt und es zu einer Aktivierung des C3a-Rezeptors auf Gefäßendothelzellen des Gehirns kommt. Als Reaktion darauf produzieren diese Zellen vermehrt ein bestimmtes Adhäsionsmolekül, was zu einer verstärkten Einwanderung von Lymphozyten, also speziellen Immunzellen, in das Gehirn führt. Zusätzlich induziert die Aktivierung des C3a-Rezeptors auf den Gefäßendothelzellen die Freisetzung von intrazellulären Calcium-Ionen. Das führt zu einer Störung eines speziellen Proteins auf den Gefäßendothelzellen, welches von zentraler Bedeutung für die Verbindung dieser Zellen ist. Ein Aufbrechen dieser Verbindungen hat eine erhöhte Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke zur Folge. Dadurch ist das Gehirn nicht mehr so gut vom Rest des Körpers abgegrenzt, so dass Entzündungen aus der Umgebung leichter auch auf das Gehirn übergreifen können.
Um diesen Krankheitsmechanismus aufzuklären, hatten die Forschenden einen transgenen Mausstamm entwickelt, bei dem die Mäuse genetisch so verändert sind, dass sie keinen C3a-Rezeptor auf den Gefäßendothelzellen mehr ausbilden. Die spezifische Ausschaltung des C3a-Rezeptors in den Gefäßendothelzellen schützte die Mäuse nicht nur vor einer erhöhten Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke im Alter. Sie reduzierte zudem die entzündliche Aktivität von speziellen Immunzellen im Gehirn, den Mikrogliazellen, und vergrößerte das Volumen des Hippocampus und der Großhirnrinde von alternden Mäusen im Vergleich zu Tieren mit C3a-Rezeptor. Der Hippocampus ist von besonderer Bedeutung für Lern- und Gedächtnisprozesse.
„Unsere Befunde zeigen eine neue, durch das Komplementsystem gesteuerte Regulation der Blut-Hirn-Schranke auf und damit verbunden der Immunzellaktivierung, Entzündung und Degeneration im alternden Gehirn“, sagt Köhl. „Die Daten deuten darauf hin, dass die gezielte Blockierung einzelner Elemente des Komplementsystems zu einer wesentlichen Verbesserung der Gefäßfunktion und Verringerung der Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke führen könnte und damit zu einer Reduktion der Neuroinflammation sowie Neurodegeneration im Alter“, so Köhl weiter.
Die Beobachtungen könnten auch interessant sein im Hinblick auf akute Entzündungszustände wie Schlaganfälle und Schädel-Hirn-Traumata oder neurodegenerative Erkrankungen, insbesondere Alzheimer, bei denen das Alter der größte Risikofaktor ist. „Aus vorangegangenen Studien ist bekannt, dass das Komplementsystem auch bei diesen Erkrankungen stark aktiviert wird“, erklärt Köhl. „Unsere Erkenntnisse könnten also zukünftig auch neue Therapieansätze für diese altersbedingten Erkrankungen des Gehirns ermöglichen.“