Neuer Ansatzpunkt für Immuntherapien bei Krebs
Wirkstoffe, die das Stoffwechselenzym IL4I1 hemmen, könnten neue Chancen für die Krebstherapie eröffnen
Luis F. Somarribas Patterson
Immuntherapien aktivieren die körpereigene Immunantwort gegen Tumore und revolutionieren gegenwärtig die Krebstherapie. Trotz einzelner erstaunlicher Erfolge profitiert jedoch nur eine geringe Anzahl der Patienten von den derzeit zur Verfügung stehenden Medikamenten. Die Teams um Christiane Opitz und Martina Seiffert beide am DKFZ, und um Saskia Trump, vom Berlin Institute of Health (BIH), untersuchten die molekularen Mechanismen, die sich Tumoren zunutze machen, um der Zerstörung durch das Immunsystem zu entgehen.
Der Arylhydrocarbon Rezeptor (AHR) ist auch als Dioxinrezeptor bekannt, weil er die giftige Wirkung von Dioxinen vermittelt. Aber nicht nur Giftstoffe, sondern auch körpereigene Stoffwechselprodukte können den Rezeptor aktivieren. Tumore nutzen die Produktion solcher Stoffwechselprodukte zu ihrem Vorteil. Die Abbauprodukte der Aminosäure Tryptophan, einem Baustein für Proteine, der mit der Nahrung aufgenommen wird, spielen für die Tumorausbreitung eine wichtige Rolle. „Wie diese Abbaustoffe entstehen, ist allerdings nur unzureichend erforscht“, erklärt Ahmed Sadik vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ). Um das zu ändern, untersuchten er und seine Kolleg*innen in über 32 verschiedenen Tumorarten, welche Tryptophan-abbauenden Enzyme mit einer Aktivierung des Dioxin-Rezeptors in Verbindung stehen.
Den Wissenschaftlern fiel dabei ein Molekül besonders ins Auge: Das Enzym IL4I1. Kein anderes Enzym des Tryptophan-Stoffwechsels war so stark mit einer Aktivierung des Dioxin-Rezeptors verknüpft wie IL4I1. „Die durch IL4I1 gebildeten Metabolite binden an den Dioxinrezeptor und aktivieren ihn, was zu einer Unterdrückung von Immunzellen führt“, erklärt Saskia Trump, die am Berlin Institute of Health die Arbeitsgruppe Epigenetik leitet. Bei Patienten mit Gliomen, bösartigen Hirntumoren, zeigte sich, dass ihre Überlebenswahrscheinlichkeit sank, wenn das Enzym IL4I1 in diesen Tumoren in höheren Konzentrationen vorlag.
Auch in einem Mausmodell für chronisch lymphatische Leukämie (CLL), einer Art von Blutkrebs, zeigte sich, dass das Enzym durch seine Effekte auf das Immunsystem das Fortschreiten des Krebsgeschehens fördert. „Bei Tieren, die in der Tumorumgebung aufgrund von genetischen Veränderungen kein IL4I1 produzieren, ist das Immunsystem deutlich erfolgreicher darin, das Fortschreiten des Krebses zu verhindern“, erläutert Martina Seiffert vom DKFZ.
„Als Angriffspunkt für Medikamente hat IL4I1 großes Potential. Bislang sind Stoffe, die Enzyme des Tryptophan-Stoffwechsels hemmen, in klinischen Studien gescheitert, da die Tumoren nicht auf sie ansprachen. Dies könnte daran liegen, dass man die Rolle von IL4I1 außer Acht gelassen und es noch nicht als Zielmolekül erprobt hat“, betont Christiane Opitz, und wirft so einen Blick auf eine mögliche klinische Anwendung der Studienergebnisse.