Neue Erkenntnisse zur Evolution von bakteriellen Antibiotikaresistenzen
Plasmide und Bakterienzellen spielen nicht immer im selben Team
© Institute of General Microbiology, Kiel University
Ein Forschungsteam vom Institut für Allgemeine Mikrobiologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) wies im vergangenen Jahr nach, dass Plasmide als häufige Träger von Resistenzgenen dauerhaft und auch ohne Selektionsdruck stabil in Bakterienzellen überdauern können. So können sie ein Reservoir für die Entwicklung von Resistenzen bilden, das schon bei einmaliger Antibiotikagabe zur Behandlungsunempfindlichkeit der nachfolgenden Bakteriengenerationen führen kann. In einer nun anschließenden Arbeit haben die Wissenschaftler aus der CAU-Arbeitsgruppe Genomische Mikrobiologie um Professorin Tal Dagan untersucht, welche Wirkung die Antibiotikagabe wiederum auf die Stabilität der Plasmide in den Bakterienzellen und damit ihren evolutionären Erfolg ausübt. Sie stellten fest, dass der von den Antibiotika ausgehende Selektionsdruck nicht immer die stabile Plasmid-Vererbung fördert - obwohl die Plasmide für die Zelle vorteilhafte Resistenzgene tragen.
Plasmide und Bakterienzellen spielen nicht immer im selben Team
Das allgegenwärtige Vorkommen von Plasmiden in der Natur lässt zunächst vermuten, dass Plasmide eine stabile Vererbung entwickeln und langfristig beispielsweise in einer Bakterienpopulation erhalten bleiben - solange sie keinen negativen Einfluss auf die Fitness des Wirtslebewesens haben, etwa durch ihren Energiebedarf. Das Kieler Forschungsteam untersuchte daher, warum sich entgegen dieser Annahme nicht in allen Fällen eine Plasmid-Stabilität einstellt, obwohl ihre Anwesenheit unter Selektionsdruck vorteilhaft ist. Dazu kultivierten die Forschenden in Evolutionsexperimenten das Bakterium Escherichia coli jeweils mit und ohne Antibiotikagabe. So konnten sie überprüfen, wie sich im Vergleich die Anwesenheit der Plasmide über die Bakteriengenerationen entwickelte. „In Anwesenheit von Antibiotika muss jede Bakterienzelle eine Resistenz entwickeln, sonst stirbt sie. Daher überleben unter diesen Bedingungen alle Zellen, die ein Plasmid als Träger des Resistenzgens haben“, erklärt Erstautorin Dr. Tanita Wein, die kürzlich in Dagans Arbeitsgruppe promovierte. „Dabei ist es für die Bakterienzelle egal, in welchem Zustand sich das Plasmid befindet, und es überleben sowohl stabile als auch instabile Plasmid-Varianten“, so Wein weiter.
Dabei haben die Plasmide die Tendenz, sogenannte Multimere zu bilden, sich also aus mehreren einzelnen Plasmiden zu einer großen zusammenhängenden Struktur zusammenzuschließen. Wenn sich die Bakterienzelle anschließend teilt, geht das große Multimer mit dann mehreren Resistenzgenen nur in eine Tochterzelle über, die zweite neue Zelle erhält aber keines. Das dadurch wahrscheinlich verstärkte Plasmid mit seinen Resistenzgenen ist zwar für die Bakterienzelle von Vorteil, es wird dadurch allerdings auch instabil - denn ohne den Selektionsdruck eines Antibiotikums gehen die großen Multimere wieder verloren. Zusammenfassend bedeutet dies, dass die positive Selektion hinsichtlich der Antibiotikaresistenz zur Aufrechterhaltung von nicht-optimalen Plasmid-Varianten führt, die langfristig nicht stabil vererbt werden können.
Diese Vorgänge zeigen, dass die Bakterienzellen und die Plasmide im übertragenen Sinne kein gemeinsames Interesse haben. Die evolutionäre Selektion ihrer Eigenschaften findet auf unterschiedlichen Ebenen statt und dient nicht immer dem Vorteil beider Beteiligter, obwohl sie in einem gemeinsamen Organismus existieren. „Im konkreten Fall bedeutet dies, dass der durch das Plasmid vermittelte Vorteil für die Wirtszelle mit einem verringerten Erfolg für die Evolution der Plasmide einhergeht und die Interessen von Plasmid und Zelle in diesem Fall gegenläufig sind. Die Betrachtung von Plasmiden als sich autonom von ihren Wirtszellen entwickelnde Einheiten hilft also dabei, den Verlauf ihrer gemeinsamen Evolution besser zu verstehen“, erklärt Wein.
Besseres Verständnis der Resistenzevolution
Insgesamt könnten die neuen Kieler Forschungsergebnisse zu einem besseren Verständnis der Vererbungsprozesse bei Plasmiden und den damit verbundenen Konsequenzen für den Wirtsorganismus führen. „Unsere Ergebnisse legen nahe, dass eher schnell veränderliche Bedingungen wie die abwechselnde An- und Abwesenheit von Antibiotika und nicht so sehr eine konstante Selektion der Schlüssel zur schnellen Anpassung der Plasmide sind“, betont Dagan. „Unsere Erkenntnisse könnten daher auch auf die Prozesse anwendbar sein, die bei Krankheitserregern zur Entstehung von Multiresistenzen gegenüber verschiedenen Wirkstoffen führen", meint Dagan.