Komplette Neuordnung der antikörperbasierten Diagnostik

Gründer im Interview: Abcalis

12.05.2020 - Deutschland

Abcalis hat sich auf eine neue Klasse von rekombinanten Sekundärantikörpern für die Diagnostik spezialisiert. Im Zuge der Coronavirus Pandemie bieten das Startup erstmals auch Diagnostik Antikörper gegen SARS-CoV-2 direkt an.

© Markus Hörster/TU Braunschweig

Das Team von Abcalis (v.l.n.r.): Dr. Esther Wenzel, Dr. Giulio Russo, Margarita Bosnak, Pascal Milfeit, Dr. Laila Al-Halabi-Frenzel und Prof. Dr. Stefan Dübel.

In unserer Gründer im Interview-Serie beantwortet Pascal Milfeit, Co-Founder & CEO von Abcalis, die Fragen der Redaktion.

Wer seid ihr und woher kommt ihr?

Wir sind ein internationales und interdisziplinäres Team aus Braunschweig. Esther und Giulio übernehmen die wissenschaftliche Leitung hinsichtlich Produktion und R&D und werden durch Rita als unsere technische Assistentin schlagkräftig im Labor unterstützt. Ich selbst teile mir gemeinsam mit Laila die Geschäftsführung mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten, da ich Erfahrungen aus der Wirtschaft und dem Silicon Valley mitbringe und sie auf über 10 Jahre Industrieerfahrung in der Diagnostik zurückblicken kann. Und Stefan ist als Professor und Leiter der Abteilung Biotechnologie ein großartiger Mentor, denn er hat die zugrunde liegende Technologie als einer der ersten Pioniere mitentwickelt.

Was ist Eure große Vision?

Die große Vision umfasst nicht weniger als die komplette Neuordnung der antikörperbasierten Diagnostik. Die überwiegende Mehrheit bezieht ihre diagnostischen Antikörper heutzutage immer noch aus Quellen, die tierischen Ursprungs sind und denen dadurch einige eklatante Nachteile innewohnen.

Unsere Produkte eliminieren diese Nachteile und garantieren stattdessen: exakt definierte, hochspezifische und exzellent charakterisierte rekombinante Antikörper, ohne Einsatz von Hybridomen. Wir sind deshalb auch bei hochskalierten Mengen immer auf höchstem Qualitätsniveau.

Wie seid Ihr auf die Idee gekommen?

Die Idee entstand aufgrund der Situation, dass rekombinante Antikörper in der therapeutischen Anwendung längst etabliert sind, für die Diagnostik aber noch die archaischen Methoden von vor 120 Jahren angewandt werden.

Die Nachteile und Probleme aus dieser Immunisierung von Tieren und der Gewinnung von Antikörpern aus deren Blut sind vielschichtig, denn es gibt keine Kenntnis über die Zusammensetzung der Gemische, starke Qualitätsschwankungen (Kreuzspezifitäten, Nebenreaktionen, etc.) mit jedem Batch, limitierte Verfügbarkeiten, keine echte Produktkontinuität der Endprodukte sowie hohe interne Kosten für Validierung und Qualitätskontrolle.

Selbst mittels Hybridom-Technik hergestellte Antikörper lösen diese Probleme nur teilweise, da auch diese nicht immer monospezifisch und zudem immer noch tierischen Ursprungs sind. Eine Sequenzierung der Hybridome zur anschließend rekombinanten Produktion ist zwar gut fürs Marketing, aber letztlich nur ein Wolf im Schafspelz.

Da wir mittels Phagen-Display komplett rekombinant produzieren, können wir hinsichtlich Qualität und Genauigkeit garantieren, immer und zu jeder Zeit auf höchstem Niveau zu sein.

Wie war Euer Entwicklungsprozess? Was waren die größten Erfolge?

Der Entwicklungsprozess an sich hört glücklicherweise nie auf. Und gerade zu Beginn war es natürlich schwierig, die vorab theoretisch formulierte Roadmap nach und nach der Realität anzugleichen. Natürlich hat man auf dem Papier und ausgehend von bisherigen Forschungsergebnissen eine vermeintlich wunderbare Startposition mit einer Vielzahl von perfekt geeigneten Antikörperklonen für den Einsatz in den Setups der potenziellen Kunden, bis dann der Markt auf den Plan tritt, sein Feedback dazu abgibt und weitere Bedürfnisse ankündigt.

Aber das meistern wir letztlich feedbackbasiert und mit einer gesunden Lean-Startup-Mentalität ganz gut und die größten Erfolge sind vor allem die ersten Projekte, die wir uns durch diesen wachsenden Erfahrungsschatz nach und nach sichern konnten.

Der allerneuste Erfolg ist die erfolgreiche Gewinnung rekombinanter anti-SARS-CoV-2 Antikörper, die das Coronavirus direkt erkennen und sich somit für Schnelltests in der Akutphase eignen. Wir sind daher momentan in alle Richtungen offen und auf der Suche nach Interessenten, um gemeinsame
Potenziale und Möglichkeiten zur Zusammenarbeit zu diskutieren!

Wie war die Reaktion des Markts und der Branche?

Die allgemeine Reaktion des Markts auf unsere rekombinante Alternative war zunächst erstmal verhalten. Das Mantra lautet „never change a running system“, was in einem Umfeld, bei dem jeder Test und jedes Kit beim Austausch einer Komponente komplett neu validiert und zertifiziert werden muss, nicht gänzlich unverständlich ist.

Zudem lassen sich viele Marktteilnehmer durch den extrem niedrigen Preis konventioneller polyklonaler Antikörpergemische noch über die nachgelagerten Kosten für Validierung, Qualitätskontrolle und Reklamationen hinwegtäuschen.

Der Anteil an Überzeugungsarbeit ist also nicht zu unterschätzen und vieles lässt sich erstmal nur über die gegenseitige Demonstration experimenteller Ergebnisse in der jeweils eigenen Umgebung beweisen.

Würdet Ihr diesen Weg wieder gehen - oder gibt es etwas, was Ihr anders machen würdet?

Glücklicherweise haben wir jetzt noch keinen Weg eingeschlagen, den wir substanziell bereuen. Eine Sache, die wir allerdings anders machen würden, wäre der Umgang mit externen Feedbacks und Ideen, wenn es darum geht, etwas zu entwickeln ohne zunächst konkret in Projekten und in Zahlen zu sprechen.
Das ist aber ein Problem, dass es unter Startups oft gibt und welches man auch von vielen anderen Gründer/innen hört: Die Verlockung, den Ideen und Anstößen von außen zu schnell stattzugeben und dabei in Vorleistung zu gehen, ohne am Ende einen Use Case etablieren zu können.

Den Wert der eigenen Arbeitszeit, Expertise und verbrauchten Materialien sollte man sich gleich von vornherein, also sobald das Unternehmen gegründet ist, vor Augen führen und damit auch selbstbewusst nach außen auftreten.

Was können andere von Eurer Start-up-Geschichte lernen?

Ich glaube zwei Dinge können aus den obigen Punkten mitgenommen werden.

Einerseits das frühe Aneignen des oben genannten Selbstbewusstseins, wenn es um spezielle Anfragen und Ideen von Feedbackgebern geht, um den Mut zu entwickeln seine Aktivitäten und Anstrengungen mit einem Preis zu beziffern und konkrete Projektangebote zu unterbreiten, bevor man immer wieder in Vorleistung geht.

Andererseits, dass der Markt und Einsatzzweck der Produkte/Technologie, die einem Startup letztlich zum Wachstum und vllt. sogar großen Durchbruch verhelfen, lange nicht das sein muss, was ursprünglich angepeilt wurde und sich durch äußere Einflüsse schnell ändern kann. Bei uns ist die Coronakrise so ein Auslöser dafür. Daher müssen Flexibilität und Adaptionsfähigkeit immer gegeben sein. Das Stichwort lautet Pivoting.

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