Antibiotikum blockiert Bausteine der Bakterienhülle

Forschungsgruppe löst 30-jähriges Rätsel: Die Wirkweise von Daptomycin

24.03.2020 - Deutschland

Als einer der letzten Pfeile im Köcher beim Kampf gegen gefährliche Bakterien dient das Reserve-Antibiotikum Daptomycin. Es kommt bevorzugt dann zum Einsatz, wenn aufgrund resistenter Keime herkömmliche Wirkstoffe versagen. Obwohl das Antibiotikum bereits vor rund 30 Jahren entwickelt wurde, war bislang seine genaue Wirkweise unklar. Wissenschaftler der Universität Bonn haben nun das Rätsel entschlüsselt: Daptomycin blockiert den Einbau wichtiger Bausteine in die Zellwand der Erreger, dadurch sterben die Bakterien.

© Fabian Grein

Daptomycin bindet an spezielle Bereiche der Zellhülle des Bakteriums Staphylococcus aureus, die reich an Angriffsstrukturen sind. Grün leuchtet das fluoreszenzmarkierte Daptomycin. Dies sind die Bereiche, wo sich die Zellen gerade teilen.

Bei Infektionen mit Bakterien sind Antibiotika die medizinischen Waffen der Wahl – doch werden sie zunehmend stumpf. Die Zahl der Resistenzen nimmt zu, deshalb wirken viele Antibiotika nicht mehr gegen die gefährlichen Erreger. Einige dieser Wirkstoffe sind für besonders schwere Infektionen mit resistenten Keimen vorgesehen. Ein Beispiel ist Daptomycin, das 2003 in den USA und 2006 in Deutschland auf den Markt kam. Es wird bei Infektionen mit Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA) und bei resistenten Enterokokken eingesetzt.

„Obwohl Daptomycin bereits vor mehr als 30 Jahren entdeckt wurde, war bislang der Wirkmechanismus unklar“, sagt Prof. Dr. Tanja Schneider vom Institut für Pharmazeutische Mikrobiologie der Universität Bonn und vom Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF). Es gab unterschiedliche Theorien, wie dieses Antibiotikum Bakterien angreift und abtötet. Eine davon war, dass Daptomycin die Bakterienhülle durchlöchert und zu einem Kalium-Ausstrom führt, der mit dem Tod des Bakteriums endet. „Niemand hat verstanden, was Daptomycin wirklich macht“, sagt Dr. Anna Müller, eine der Erstautoren aus der Forschungsgruppe von Prof. Schneider.

Interdisziplinäres Forschungsteam

Das interdisziplinäre Team aus den Bereichen der Medizin, Pharmazie und Physikalischer Chemie kam der Wirkweise des Antibiotikums mit unterschiedlichsten wissenschaftlichen Methoden auf die Spur. Die Wissenschaftler markierten zunächst Daptomycin mit einem Fluoreszenzfarbstoff, der grün leuchtete. Unter dem hochauflösenden Mikroskop konnten sie deshalb genau verfolgen, wo das Antibiotikum an die Staphylokokkenzellen andockte. „Daptomycin heftete sich genau dort an die Bakterien, wo gerade die neue Zellwand synthetisiert wurde“, sagt Dr. Fabian Grein, ein weiterer Erstautor und Mitarbeiter von Prof. Schneider.

Wie bei einem Baukasten wird die Bakterien-Zellwand aus zahlreichen Bausteinen zusammengefügt. Weitere Analysen der Forscher an Staphylokokken und synthetisch hergestellten Bakterienwänden zeigten, dass insbesondere zwei dieser Bausteine für die Wirkung von Daptomycin enorm wichtig sind: der zentrale Zellwandbaustein „Lipid II“ und das Membranlipid Phosphatidylglycerol (PG). „Die Kombination aus Lipid II, PG und Daptomycin zusammen ist die Achillesferse der Bakterien“, sagt Schneider. Genau an dieser verwundbaren Stelle setzt das Daptomycin an: Es blockiert den Weiterbau der Zellwand, indem das Antibiotikum diese wichtigen Bausteine wegfängt. Dadurch wird die Bakterienzellwand instabil und bekommt Löcher, verschiedene Ionen – darunter auch Kalium – strömen aus. „Der Ausstrom der Ionen ist nicht die eigentliche Wirkung von Daptomycin, wie ursprünglich gedacht, sondern eine Folge der sterbenden Bakterienzelle“, zieht Schneider ein Fazit.

„Wir konnten zeigen, wie Daptomycin wirklich wirkt und an welche molekularen Zielstrukturen es andockt“, sagt Prof. Dr. Ulrich Kubitscheck von der Biophysikalischen Chemie der Universität Bonn. Dies ist eine wichtige Voraussetzung für die weitere Optimierung von Daptomycin. Da angesichts der Antibiotikaresistenzen nicht im gewünschten Maß neue Wirkstoffe entwickelt werden können, setzen Wissenschaftler auf Kombinationstherapien aus unterschiedlichen Wirkstoffen. „Die Strategie ist, bereits resistente Bakterien mit unterschiedlich wirkenden Waffen in die Zange zu nehmen“, sagt Prof. Schneider. Das funktioniere aber nur, wenn die Wirkweise und die Angriffspunkte der Antibiotika bekannt seien.

Die Studie fand im von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Transregionalen Sonderforschungsbereich TRR261 „Antibiotic CellMap – Zelluläre Mechanismen der Antibiotika-Wirkung und -Produktion“ statt, der an den Universitäten Bonn und Tübingen angesiedelt ist. Außerdem ist das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) beteiligt. „Nur durch diese transdisziplinäre Zusammenarbeit sind wir den entscheidenden Schritt weitergekommen und haben das Rätsel gelöst, an dem sich 30 Jahre lang die Wissenschaft die Zähne ausgebissen hat“, sagt Schneider.

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