Wie das Mikrobiom an der Entstehung von Krebs beteiligt ist
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Ein Forschungsteam um Professor Thomas Bosch von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) konnte nun am Beispiel des einfach organisierten Süßwasserpolypen Hydra zeigen, dass nach einer umweltbedingten Störung der normalen Bakteriengemeinschaft das Gewebe eines Wirtslebewesens von Bakterien aus der Umwelt besiedelt werden kann. Der Kontakt mit dort bereits vorhandenen Mikroben führt dann zur Bildung von Faktoren, die eine schädigende Wirkung auf die Zellstrukturen haben und letztendlich die Tumorentstehung auslösen.
Evolutionäre Ursprünge von Krebserkrankungen
Einen Ansatz für ihre neuen Erkenntnisse fand das Forschungsteam in vorangegangenen Arbeiten zu den Ursprüngen der Krebsentstehung in der Entwicklungsgeschichte des Lebens. Am Süßwasserpolypen Hydra, einem stammesgeschichtlich sehr alten vielzelligen Organismus, konnten die Forschenden bereits vor einigen Jahren zeigen, dass grundsätzlich alle vielzelligen Lebewesen Tumore bilden können. „Wir vermuten, dass Krebs eine Begleiterscheinung der Entstehung der Vielzelligkeit früh in der Evolution des Lebens ist“, betont Dr. Alexander Klimovich, Wissenschaftler in der Zell- und Entwicklungsbiologie an der CAU und Leiter der Studie. „Da alle vielzelligen Organismen zudem ein Mikrobiom besitzen und sich mit ihren mikrobiellen Symbionten über Millionen von Jahren gemeinsam entwickelt haben, liegt eine Beteiligung der Kleinstlebewesen auch an der Entstehung von Krebs nahe“, so Klimovich weiter.
Gestörte Bakterienbesiedlung löst Tumorbildung aus
In Laborexperimenten konnte der Doktorand Kai Rathje in Zusammenarbeit mit dem Forschungsteam eine solche ursächliche Beteiligung nun konkret für einzelne Bakterienarten und deren Interaktionen innerhalb des Mikrobioms der Nesseltiere nachweisen. „Hydren erkranken an Krebs, wenn sich eine bestimmte fremde Bakterienart aus der Gruppe der Spirochäten gehäuft im Mikrobiom einnistet und damit das Gleichgewicht der Bakterienbesiedlung in ihrem Gewebe stört“, betont Klimovich. „Interessanterweise entfalten diese Bakterien ihre schädliche Wirkung nur in Anwesenheit bestimmter anderer Bakterien aus der Gattung Pseudomonas, die zur normalen Zusammensetzung des Mikrobioms gehören“, so Klimovich weiter.
An der Tumorbildung bei den Nesseltieren ist also eine Interaktion von Mikroben untereinander beteiligt und als erster Impuls auch der Einfluss der Umwelt: Die Tiere nehmen die schädlichen Spirochäten zunächst aus dem Umgebungswasser auf. Eine Besiedelung des Wirtsgewebes gelingt den eindringenden Bakterien aber nur, wenn das Gewebe der Hydren durch veränderte Faktoren in der Umwelt bereits geschwächt ist. Zu diesen Faktoren gehören eine geänderte Temperatur und in der Folge auch eine geänderte mikrobielle Besiedelung. Die Forschenden konnten experimentell belegen, dass Spirochäten und Pseudomonas-Bakterien aus dem natürlichen Mikrobiom miteinander interagieren und beide dadurch ihr Verhalten drastisch ändern. Bei ihrem Aufeinandertreffen wandeln die Bakterien ihre Bewegungsmuster ab und suchen den direkten Kontakt. In der Folge beginnen sie auch unterschiedliche Erbinformationen abzurufen und aktivieren dabei insbesondere Faktoren, die eine krankmachende Wirkung für das Wirtslebewesen haben. Durch diese Veränderungen gerät das mikrobielle Gleichgewicht im Gewebe der Nesseltiere durcheinander, es folgen strukturelle Veränderungen in den Zellen und schließlich die Tumorbildung. Wie diese Wechselwirkungen auf molekularer Ebene ablaufen und welche konkreten biochemischen Mechanismen an dieser Form der Krebsentstehung beteiligt sind, ist Gegenstand derzeit laufender Untersuchungen.
Das Mikrobiom – Einfallstor und Schutzbarriere zugleich
„Unsere neuen Forschungsergebnisse deuten auf ein universelles Prinzip hin, das unser Verständnis der Entstehung von Krebserkrankungen erweitern wird - nämlich als ein umfangreiches Zusammenspiel von genetischen und Umweltfaktoren einschließlich konkreter mikrobieller Einflüsse“, betont Professor Thomas Bosch, Leiter der Zell- und Entwicklungsbiologie an der CAU und Sprecher des SFB 1182. „Die neuen Forschungsergebnisse zeigen, dass ein wichtiger Aspekt bei der Krebsentstehung im Kontext der mikrobiellen Wechselwirkungen zu suchen ist - erst die gemeinsame Anwesenheit bestimmter miteinander interagierender Bakterien innerhalb eines gestörten Mikrobioms machte in dem von uns untersuchten Fall die Bildung von Tumoren möglich. Es ist also vermutlich in vielen Fällen nicht ein einzelner schädlicher Eindringling, sondern der Wegfall des Mikrobioms als Schutzbarriere des Körpers insgesamt, der die Krebsentstehung fördern kann“, so Bosch weiter.
In diesen Erkenntnissen liegt eine vielversprechende Perspektive, denn die Schutzfunktion des Mikrobioms könnte sich in Zukunft möglicherweise nutzen lassen: „Die mikrobielle Besiedlung des Körpers pendelt sich im Normalfall in einem Gleichgewicht ein und schirmt den Organismus vor schädlichen Einflüssen ab, potenziell auch vor krebserregenden“, sagt Bosch. „Künftige Forschung wird zeigen, ob sich diese Fähigkeit des Mikrobioms zur Aufrechterhaltung einer gesunden Barriere, die den Körper vor der Besiedlung mit schädlichen Mikroorganismen schützt, möglicherweise auch zur Prävention von Krebserkrankungen nutzen lässt“, so Bosch weiter. Denkbar wären in Zukunft gezielte Eingriffe in die Zusammensetzung des Mikrobioms. Solche Manipulationen könnten die Ansiedlung bestimmter krebserzeugenden Bakteriengemeinschaften möglicherweise zurückdrängen und so die gesunde Balance des Mikrobioms wiederherstellen. Bis solche Präventions- oder Therapieformen realisierbar werden könnten, ist jedoch weitere umfangreiche Grundlagenforschung nötig.