Erstmals biochemischer Schlüsselmechanismus für Alterungsprozesse in Mäusen, Nacktmullen und Fledermäusen beschrieben

17.03.2020 - Deutschland

Das Altern ist ein unvermeidlicher Teil des Lebens. Wie Alterungsprozesse ablaufen, unterscheidet sich zwischen Tierarten – zum Teil sogar zwischen eng verwandten – sehr stark. Beispielsweise altert der Nacktmull stark verzögert und wird bis zu 30 Jahre alt. Er ist ein in Ostafrika beheimatetes Nagetier, seine Größe gleicht der eines Maulwurfes. Ein Forscherteam aus Russland, Deutschland und der Schweiz beschreibt nun erstmals einen Mechanismus in Zellen von Mäusen, Nacktmullen und Fledermäusen, der in direktem Zusammenhang mit Alterungsprozessen steht: Die „milde Depolarisation“ der inneren Mitochondrien-Membran reguliert die Bildung von Sauerstoffradikalen (mitochondrial reactive oxygen species [mROS]) in den Zellen. Bei Mäusen nimmt die Wirkung dieses Mechanismus schon im ersten Lebensjahr ab, während er bei Nacktmullen noch im Alter von 20 Jahren vollständig aktiv ist. Die milde Depolarisation ist in einem aktuellen Aufsatz in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Acadamy of Sciences of the USA“ detailliert beschrieben.

Jan Zwilling, IZW

Nacktmull

Die Sauerstoffradikale, wie beispielsweise das Wasserstoffperoxid, sind Nebenprodukte der Zellatmung und werden in höherer Konzentration mit Alterungsprozessen sowie mit verschiedenen Krankheiten in Verbindung gebracht. Es gibt verschiedene Mechanismen an den inneren und äußeren Membranen der Mitochondrien, die die mROS-Produktion bei der Zellatmung regulieren. Die Kernfunktion der Zellatmung ist die Energieproduktion in Form von ATP (Adenosintriphosphat). Die Wissenschaftler konnten nun zeigen, dass die mitochondrialen Enzyme Hexokinase I + II sowie Kreatinkinase zu einer leichten Verringerung des Membranpotenzials der inneren Mitochondrien-Membran führen („milde Depolarisation“). Dies bedeutet, dass die elektrischen Ladungsunterschiede zwischen Innen- und Außenraum der Mitochondrien leicht gesenkt werden, wodurch die Energieproduktion durch die ATP-Synthese zu einem gewissen Grad reduziert wird. Gleichzeitig wird aber die mROS-Produktion unterbunden. „Die milde Depolarisation reguliert also die mROS-Produktion und ist daher als Mechanismus anzusehen, der Alterungsprozesse in der Zelle wesentlich verlangsamt“, sagt Senior-Autor Vladimir Skulachev (Lomonossow-Universität Moskau).

Das Forscherteam konnte darüber hinaus zeigen, dass dieser neu entdeckte biochemische Mechanismus in verschiedenen Geweben und Tierarten sowie in unterschiedlichem Alter nicht in derselben Intensität und Effizienz abläuft. Die Wissenschaftler untersuchten dafür die Wirkung von Hexokinase I + II und Kreatinkinase in verschiedenen Geweben (Lunge, Niere, Gehirn, Skelettmuskeln, Herz und anderen) bei Mäusen (Mus musculus), Nacktmullen (Heterocephalus glaber) und den langlebigen Brillenblattnasen-Fledermäusen (Carollia perspicillata). Die milde Depolarisation nimmt bei Mäusen nach einem Jahr signifikant ab. In Skelettmuskeln, Zwerchfell, Herz, Gehirn und Milz ist ihr Effekt nach zwei Jahren kaum noch vorhanden und damit die mROS-Produktion hoch. In Lunge und Niere von Mäusen ist die Abnahme der milden Depolarisation im Alter deutlich geringer, aber dennoch klar erkennbar. Bei Nacktmullen und Brillenblattnasen-Fledermäusen offenbart sich jedoch ein anderes Bild: „Der Verfall des Anti-Aging-Programms der Zellen tritt bei Mäusen bereits nach einem Drittel der durchschnittlichen Lebensdauer ein, während bei Nacktmullen und Brillenblattnasen die milde Depolarisation und damit die Unterdrückung der mROS-Produktion bis ins hohe Alter anhält“, erklären Thomas Hildebrandt und Susanne Holtze vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW). „Dies trägt zur außerordentlichen Langlebigkeit dieser Tierarten bei.“

Diese neu beschriebenen biochemischen Mechanismen zeigen auf, wie die Aging- und Anti-Aging-Programme in den Zellen funktionieren und reguliert werden. Es ist hingegen noch nicht abschließend geklärt, wo und wie diese Prozesse aktiviert und kontrolliert werden. „Wir haben diese ‚biologische Uhr‘ im Körper noch nicht identifiziert“, sagt Erstautor Michail Vyssokikh (Lomonossow-Universität Moskau). „Wir vermuten sie im suprachiasmatischen Kern des Hypothalamus, der für die tageszeitlichen und saisonalen Rhythmen des Körpers verantwortlich ist.“ Diese Frage und einige andere noch unbekannte Komponenten der Alterungs- und Anti-Aging-Mechanismen werden Gegenstand zukünftiger Altersforschung sein. Im Leibniz-Forschungsverbund „Gesundes Altern“ führt das Leibniz-IZW gemeinsam mit 19 weiteren Leibniz-Instituten Grundlagen- und anwendungsorientierte Forschung durch, die auch beim Menschen gesundes Altern nachhaltig unterstützt.

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