Prostatakrebs mit eigentlich wirkungslosem Medikament "überlistet"

08.01.2020 - Deutschland

Patienten mit fortgeschrittenem Prostatakrebs haben oft kaum noch Behandlungsoptionen. Eine besteht darin, radioaktive Moleküle über eine Andockstelle der Tumoroberfläche, PSMA, in die Zelle einzuschleusen, um diese zu zerstören. Nuklearmediziner haben nun herausgefunden, dass viel mehr PSMA-Moleküle auf der Tumoroberfläche entstehen, wenn sie ein eigentlich schon wirkungslos gewordenes Medikament verabreichen. Auf diese Weise gelangt deutlich mehr Radioaktivität in die Tumorzellen als bisher.

Wenn sich ein Nicht-Wissenschaftler einen Wissenschaftler vorstellt, herrscht oft noch das Bild vom weltfremden Genius vor: Ein superschlauer Forscher sitzt einsam im Kämmerlein und erfindet die tollsten Sachen, und das ohne jeglichen Kontakt zur „normalen“ Welt. Dabei ist Wissenschaft ein Teil des Lebens wie jeder andere auch. Und wie im normalen Leben auch ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass bisweilen die Intuition eine große Rolle bei wissenschaftlichen Fortschritten spielt.

Das haben auch der Nuklearmediziner Professor Samer Ezziddin und seine Mitarbeiter erfahren, als sie Hinweisen nachgingen, die sie aufgrund ihrer Spezialisierung in der Behandlung von fortgeschrittenem Prostatakrebs gemacht haben. Im Mittelpunkt stehen dabei zwei Rezeptoren auf der Tumoroberfläche: Zum ersten das „Prostataspezifische Membranantigen“ (PSMA), ein Eiweißmolekül, das sehr häufig auf der Oberfläche von Prostatatumoren vorkommt. Über dieses Einfallstor gelingt es Nuklearmedizinern, radioaktiv strahlende Substanzen in die Tumorzelle einzuschmuggeln und so die bösartigen Zellen von innen zu zerstören. Je mehr es davon gibt, desto mehr Radioaktivität können die Ärzte prinzipiell in die Zellen einbringen, ohne die Gesamtdosis zu erhöhen.

Zum zweiten spielt eine Sorte Rezeptoren auf dem Tumor eine Rolle, an die männliche Geschlechtshormone wie Testosteron andocken. „Prostatatumore benötigen Testosteron wie ein Auto Benzin“, erklärt Samer Ezziddin. Daher zielt eine bestimmte Therapie darauf ab, diese Rezeptoren zu blockieren und dem Krebs gleichsam den Treibstoff zu entziehen. „Das funktioniert mit Medikamenten wie zum Beispiel Enzalutamid eine Zeitlang sehr gut, der Tumor schrumpft dann in der Folge”, weiß Samer Ezziddin. „Nach einer gewissen Zeit – einige Monate, vielleicht zwei Jahre, wenn es gut läuft – wirkt das Medikament aber nicht mehr, der Tumor wächst dann wieder.“ Das teure Medikament wird dann meist abgesetzt. Wozu sollte man es auch weiter einsetzen, wenn es nicht mehr wirkt?

Hier kommt nun die Intuition der Homburger Mediziner ins Spiel. Denn was für die eine Therapie schlecht ist (ein wirkungsloses Medikament), kann für die andere Form der Therapie vielleicht gut sein: „Wir hatten den Verdacht und später eindeutige Hinweise, dass die PSMA-Dichte zunimmt, wenn der Androgenrezeptor auf der Tumoroberfläche, an den das Testosteron andockt, blockiert ist“, erläutert er die Ausgangslage. Ihr Bauchgefühl ließ die Nuklearmediziner aber anhand ihrer klinischen Beobachtungen noch stark vermuten, dass das auch funktioniert, wenn das Medikament, das den Rezeptor blockiert, den Tumor eigentlich nicht mehr erfolgreich bekämpfen konnte und abgesetzt wurde.

Die Intuition der Ärzte erwies sich als goldrichtig: „Wir konnten nachweisen, dass mit der Gabe von Enzalutamid die PSMA-Dichte auf der Tumoroberfläche deutlich zugenommen hat, selbst wenn es eigentlich gar keine Wirkung mehr in seinem ursprünglichen Sinn gezeigt hat und schon abgesetzt wurde“, erläutert Samer Ezziddin. Zwar umfasste ihre Studie nur zehn Patienten. „Aber wir konnten nach der Gabe von Enzalutamid bei allen einen deutlichen Anstieg der PSMA-Moleküle auf den Tumorzellen feststellen“, sagt der Nuklearmediziner. „Auf diese Weise ist es uns möglich, viel mehr radioaktive Substanz in die Tumorzellen einzuschleusen und diese gezielt bis auf Mikrometerebene hinab zu von innen zu bestrahlen“, erklärt Ezziddin. Damit lassen sich Prostatatumore künftig viel effizienter und schonender mit der so genannten PSMA-gerichteten Radioligandentherapie behandeln als dies bisher bereits der Fall war.

„Diese Studienergebnisse müssen nun in größeren Studien weiter erforscht und untermauert werden“, erklärt Samer Ezziddin das weitere Vorgehen in der Forschung. „Wir wollten unser Wissen jedoch so schnell wie möglich verbreiten, da es vielen Patienten helfen kann. Daher haben wir uns für diese ‚short communication‘ entschieden. Denn ich gehe davon aus, dass selbst diese kleine Studie zu einem drastischen ‚Management change‘ in der Behandlung des fortgeschrittenen Prostatakrebses führen wird“, ist sich der Spezialist Ezziddin sicher. Mutmaßlich wird ihn auch hier seine Intuition nicht im Stich lassen.

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