Medikamenten-Entwicklung mit Peptiden aus der Natur

19.12.2019 - Österreich

Eine wissenschaftliche Arbeitsgruppe am Institut für Pharmakologie der Medizinischen Universität Wien konnte in Kooperation mit der Universität Wien und Forschern aus Australien in einer aktuellen Studie zeigen, dass ein aus einer Milbe gewonnenes Peptidhormon am menschlichen Vasopressin-2-Rezeptor (V2R) einen bestimmten sekundären Botenstoff aktiviert.

Das ist umso erstaunlicher, weil üblicherweise von Medikamenten bzw. Wirkstoffen an Rezeptoren wie diesem – aus der Gruppe der G Protein-gekoppelten Rezeptoren – mehrere, verschiedene molekulare Signalwege in den Zellen aktiviert werden können. Das führt zu erwünschten, aber auch unerwünschten Wirkungen. Diese Peptide können nun als chemische Werkzeuge genutzt werden, um die Mechanismen der Signalweiterleitung in Zellen besser zu verstehen und somit in Zukunft einen gezielteren Einsatz von Medikamenten zu ermöglichen – mit reduzierten Nebenwirkungen.

„Das Ergebnis unserer Studie zeigt, dass sich aus Arthropoden (Anm.: Gliederfüßer) isolierte Peptide sehr gut eignen, um bei dieser Klasse von menschlichen Rezeptoren gezielte, molekulare Werkzeuge oder Wirkstoffe herzustellen“, sagt Studienleiter Christian Gruber vom Institut für Pharmakologie der MedUni Wien. Rund 30 Prozent aller Medikamente wirken an den genannten G Protein-gekoppelten Rezeptoren, allerdings werden oftmals gleichzeitig, und nicht selektiv, verschiedene molekulare Signalwege in den Zellen aktiviert, was in seltenen Fällen zu fatalen Nebenwirkungen führen kann. Gruber: „Zu erwähnen wäre hier als Beispiel eine Hemmung der Atmung bei Opiateinnahme zur Schmerzstillung, Stichwort Opiatkrise in den USA.“  

Jetzt scheinen die Wiener Grundlagenforscher (insbesondere durch den Beitrag der beiden Doktoratsstudenten Edin Muratspahić und Leopold Dürrauer) aber eine Möglichkeit erschlossen zu haben, um die Wirkstoffe gezielter einzusetzen und die nicht selektive Aktivierung der Signalwege zu stoppen, nämlich mit aus der Natur gewonnenen Peptidhormonen – in diesem Fall eines der Milbe, das gezielt an einem Signalweg des menschlichen Vasopressin-2-Rezeptors (V2R) wirkt.

Vasopressin-ähnliche Wirkstoffe für den V2R werden in der Klinik zum Beispiel bei „Diabetes insipidus“ eingesetzt. Dabei wird eine große Menge verdünnten Urins durch die Nieren ausgeschieden, weil entweder das Hormon Vasopressin nicht mehr produziert wird, oder der Vasopressin Rezeptor in den Nierentubuli nicht mehr funktionstüchtig ist, und somit das gefilterte Wasser nicht wieder dem Körper zurückgeführt werden kann. Weitere Einsatzbereiche sind z.B. Bettnässen, oder besondere Formen der Hämophilie (Bluterkrankheit). Gruber: „Mit Hilfe von synthetisch-optimierten Peptidhormonen könnte man künftig möglicherweise ganz gezielt Erkrankungen therapieren und unerwünschte Nebenwirkungen ‚ausschalten‘.“

Die Evolution & die Baupläne der Natur nutzen

„Und das mit Hilfe von natürlich vorkommenden Peptiden aus Tiergiften, Insektenhormonen, Pilzen oder Pflanzen, die auf der Evolution beruhend, also teilweise über Millionen von Jahren gemacht wurden, um an ähnlichen Rezeptoren als Abwehr- oder Botenstoff zu wirken. Das heißt, wir ersparen uns viele Syntheseschritte, die üblicherweise bei der chemisch-kombinatorischen Wirkstoffentwicklung benötigt werden. Wir nutzen direkt die Baupläne der Natur, welche die Wirkstoffkandidaten für uns vorselektiert hat, um optimierte Wirkstoffe zu entwickeln“, betont Gruber.

Multiple Sklerose: Pflanzenpeptid als vielversprechendes Medikament

Genau darauf beruhen auch die vielversprechenden Forschungen dieser Arbeitsgruppe beim Kampf gegen Multiple Sklerose (MS): Vor einigen Jahren konnte im Tierversuch gezeigt werden, dass es nach der Behandlung mit einem speziellen, synthetisch nachgebauten Pflanzenpeptid (Zyklotid) zu keiner weiteren Entwicklung üblicher klinischer Anzeichen einer MS kommt. Diese Entdeckung lässt darauf hoffen, die Erkrankung bereits in einer sehr frühen Phase stoppen oder ihre Entwicklung zumindest verlangsamen zu können.

In der Zwischenzeit wurde von der schwedischen Firma Cyxone mit dem Wirkstoffkandidaten T20K eine erfolgreiche Phase-1-Studie durchgeführt. Zur möglichen Zulassung eines Medikaments und Verfügbarkeit für Patienten werden allerdings noch weitere klinische Versuchsphasen notwendig sein, welche derzeit in Planung sind.

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