Biotech-Branche mit nur wenigen Leuchttürmen
Goldene Zukunft für BioNTech
(dpa) «An der Goldgrube 12» lautet die Adresse von BioNTech in Mainz. Was vor Jahren im Kleinen entstanden ist, gilt inzwischen als Leuchtturm der deutschen Biotech-Branche. Die von dem Onkologen Ugur Sahin mitgegründete Firma entwickelt individualisierte Krebsmedikamente. Investoren glauben an eine goldene Zukunft - über Finanzierungsrunden, Kooperationen mit Pharmaunternehmen und den Gang an die US-Technologiebörse Nasdaq im Oktober sammelte BioNTech über 1,4 Milliarden US-Dollar ein. Die Aussichten für die deutsche Biotech-Branche als Ganzes beurteilen Fachleute aber weniger golden.
Photo by Evgeni Tcherkasski on Unsplash
«Wir wollen nicht nur einzelne Medikamente entwickeln, sondern wir haben einen komplett neuen Ansatz», sagt Sahin, der 2019 mit dem Deutschen Krebspreis ausgezeichnet wurde. «Unser Ziel ist es, individualisierte, auf den Krebs jedes einzelnen Patienten maßgeschneiderte Therapien zu entwickeln.» Bisher sei es gängig, die Tumordiagnostik eines Patienten auf einzelne Merkmale zu beschränken und daraus Therapieentscheidungen abzuleiten. Individuelle Besonderheiten der Erkrankung würden nur grob erfasst. BioNTech setzt auf «Next-Generation-Sequencing», eine Technologie, die die Analytik von Milliarden genetischer Merkmale in der menschlichen Erbsubstanz sowie Veränderungen im Krebs erfassen kann - etwas komplett Neues.
«Sie können das mit Tesla vergleichen», sagt Sahin. Die ganze Innovationskette samt der Produktion großer Stückzahlen müsse auf die Beine gestellt werden. Nur dass bei BioNTech der Grad der Individualisierung viel höher sei. Wenn das funktioniere, bringe es einen enormen Vorsprung gegenüber Wettbewerbern. Momentan behandele BioNTech Patienten mit Krebs im Spätstadium, in dem die Krankheit selten heilbar sei. Der Trend gehe aber dahin, dass auch kleinste Metastasen mit Blutuntersuchungen früher diagnostiziert werden.
Siegfried Bialojan, Biotech-Experte der Beratungsgesellschaft EY, betrachtet BioNTech neben Qiagen, Evotec oder Morphosys als «Leuchtturm» der deutschen Biotech-Branche. Doch diese Leuchttürme seien nicht sehr repräsentativ für das Segment insgesamt. In der Breite falle die Branche weit dahinter zurück, obwohl das Potenzial hierzulande angesichts der starken Forschungslandschaft «riesig» sei. «Vor dem Hintergrund passiert da wenig», kritisiert Bialojan. Trotz Forschungsförder-Milliarden komme wenig Wertschöpfung heraus.
Dass BioNTech den Weg an die Nasdaq wählte, ist für Bialojan kein Zufall. «In den USA gibt es ein Rennen von Investoren, die sagen: Wir wetten auf die Zukunft.» In Deutschland fehle ein funktionierendes «Finanzierungs-Ökosystem». Bei Biotech-Firmen gehe es um neue Entwicklungen mit hohem Risiko, langen zeitlichen Vorläufen, immensem Kapitalbedarf - anders als bei IT- oder anderen Tech-Firmen, wo Produkte günstiger entwickelt und binnen kürzerer Zeit an den Markt kämen. Diese Konstellation bei Biotech sei nur mit Eigenkapital zu finanzieren, nicht mit von Banken geliehenem Geld. «In Deutschland gibt es aber eher eine sehr ausgeprägte Fremdkapital-Kultur.» Auch mangele es an risikofreudigen und schlagkräftigen Venture-Capital-Fonds, also Fonds mit Wagniskapital.
Einem Bericht der Boston Consulting Group für den Verband der forschenden Pharma-Unternehmen zufolge gab es 2018 in Deutschland 400 Unternehmen in der medizinischen Biotechnologie. 119 vermarkteten Biopharmazeutika oder besaßen eine Produktpipeline, die anderen trugen mit Technologieplattformen zur Entwicklung von Medikamenten bei. BioNTech will beides tun. Bundesweit waren rund 49.700 Menschen in Firmen der medizinischen Biotechnologie beschäftigt, der Biopharmazeutika-Umsatz lag 2018 bei 11,4 Milliarden Euro.
Wie Bialojan lobt Sahin die deutsche Forschungslandschaft. Schwierig sei aber, hier erfahrene klinische Entwickler zu finden. «Deswegen bauen wir eine klinische Entwicklungsabteilung in den USA auf.» Der Chief Business Officer (CBO) von BioNTech, Sean Marett, ergänzt mit Blick auf den Gang an die Nasdaq: «Es gibt zahlreiche Investoren, die nicht in ein privates Unternehmen investieren dürfen, aber in ein börsennotiertes. Viele dieser Investoren sitzen in Amerika.»
Es gehört eine Menge dazu, überhaupt groß genug zu werden, um den Schritt aufs Börsenparkett zu packen, ohne vorher geschluckt zu werden. «BioNTech konnte sich diesen Weg leisten», sagt Bialojan von EY. Das Unternehmen habe als Mäzen im Hintergrund die Brüder Strüngmann gehabt, die Gründer des Generika-Herstellers Hexal.