Generierung induzierter pluripotenter Stammzellen der Maus gelingt besser ohne Oct4

11.11.2019 - Deutschland

Die Qualität induzierter pluripotenter Stammzellen wird dramatisch verbessert, wenn man auf den Faktor verzichtet, der bislang als entscheidend galt.

© MPI Münster / Sergiy Velychko

Der ultimative Pluripotenz-Test: nach tetraploider Komplementierung entstand eine adulte Maus mit ausschließlich iPS-Zellen.

Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster haben gezeigt, dass Oct4, ein Faktor, der üblicherweise für die Reprogrammierung verwendet wird, der Qualität der induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen) abträglich ist. Das Weglassen von Oct4 beim Reprogrammierungscocktail ermöglichte die Generierung von Maus-iPS-Zellen mit dem bislang besten Entwicklungspotenzial.

Embryonale Stammzellen (ES-Zellen), aus denen die innere Zellmasse eines frühen Säugetierembryos namens Blastozyste besteht, besitzen die einzigartige Fähigkeit der Pluripotenz. Diese Zellen können sich unbegrenzt teilen und behalten ihre Fähigkeit bei, jede beliebige Gewebezelle oder sogar ein vollständiges Tier hervorzubringen, wenn sie in eine Blastozyste zurückübertragen werden. Die Technologie zur Vermehrung und Differenzierung von pluripotenten Zellen in vitro bietet enormes Potenzial sowohl für das Verständnis der menschlichen Entwicklung als auch für klinische Anwendungen wie zum Beispiel die Entwicklung von Medikamenten und regenerativen Zelltherapien.

Die Gewinnung menschlicher ES-Zelllinien und ihre Nutzung für die Forschung ist jedoch nach wie vor umstritten. Deutschland verfügt über ein ziemlich strenges Stammzellgesetz, das nicht nur die Generierung menschlicher ES-Zelllinien verbietet, sondern auch jedwede Forschung, an der ES-Zellen beteiligt sind, die nach 2007 aus andernfalls entsorgten Embryos aus Kinderwunschkliniken im Ausland gewonnen wurden.

Die erstmals von Shinya Yamanaka entwickelte iPS-Technologie ermöglicht die Reprogrammierung adulter Zellen wie zum Beispiel Hautfibroblasten in einem ES-zell-ähnlichem Zustand, und zwar durch die erzwungene Überexpression von vier Transkriptionsfaktoren: Oct4, Sox2, Klf4 und cMyc (OSKM). Obwohl iPS-Zellen von vielen als ultimativer Ersatz für ES-Zellen angesehen werden, zeigten mehrere Studien auf, dass diese von ihrem Entwicklungspotenzial dem „Goldstandard“ von ES-Zellen nicht wirklich entsprechen. Der Reprogrammierungsprozess scheint zu grob zu sein, was Krebserkrankungen verursachen kann wie z. B. den Verlust des Gen-Silencing an bestimmten wichtigen Stellen im Genom. Für das Mausmodell führt dies dazu, dass viele der OSKM iPS-Zelllinien nicht in der Lage sind, eine normale Differenzierung zu unterstützen. Die genaue Herkunft oder die Ursache, die diese Änderungen bewirkt, wurde bislang nicht ermittelt.

Ein Team unter der Leitung von Hans Schöler hat die Rollen der verschiedenen Komponenten des Yamanka-Cocktails bei der Reprogrammierung zur Pluripotenz untersucht. Der Doktorand Sergiy Velychko, der die Experimente leitete, erklärt: „Wir haben einen neuen Reprogrammierungsvektor ohne Oct4 geschaffen, der eigentlich als negative Kontrolle dienen sollte. Zu meiner großen Überraschung konnte dieses Kontroll-SKM-Konstrukt iPS-Zellen erzeugen. Im Vergleich zu OSKM entstanden zwar etwas weniger Kolonien mit einer gewissen Verzögerung, aber sie waren viel besser!“ Andere Studien, die ein SKM-Konstrukt verwendeten, wiesen keine Reprogrammierung auf. „Wir fanden später heraus, dass die Diskrepanz zu früheren Studien durch die retroviralen Vektoren erklärt werden konnte, die Yamanaka und viele andere in ihren Experimenten verwendeten“, sagt Velychko. „Diese retroviralen Vektoren können sich selbst lahmlegen und dadurch den Reprogrammierungsprozess frühzeitig beenden.“

„Interessanterweise haben wir festgestellt, dass die ohne Oct4 generierten iPS-Zellen den ES-Zellen ähnlicher waren. Vor allem haben alle unsere SKM-Linien das richtige Prägemuster beibehalten. Als wir schließlich SKM-iPS-Zellen dem härtesten Test auf Pluripotenz unterzogen haben – der Fähigkeit, Mäuse ausschließlich mit iPS-Zellen durch eine Technik namens tetraploide Komplementierung herzustellen – fanden wir heraus, dass SKM-iPS-Zellen im Durchschnitt etwa 20-fach besser voll entwickelte Mäuse hervorbringen konnten, als dies bislang möglich war.“

Hans Schöler, der das Oct4-Gen bereits im Jahr 1989 entdeckte, meint: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass wir nach 13 Jahren iPS-Technologie die Folgen dieses künstlichen Prozesses immer noch nicht vollständig verstehen. Wir waren sehr erstaunt, als wir feststellten, dass die Entfernung von Oct4 aus dem Reprogrammiercocktail ausreichte, um das Entwicklungspotenzial von Maus-iPS-Zellen auf das Niveau von ES-Zellen zu bringen.“ Obwohl die menschliche Reprogrammierung ohne Oct4 noch nicht bewiesen ist, ist Hans Schöler zuversichtlich: „Ich sehe keinen Grund, weshalb sich Oct4 in menschlichen Zellen anders verhalten sollte als in Mauszellen. Wenn Oct4 die Prägung in menschlichen Zellen genauso verändert wie die Prägung in Mauszellen, dann besteht die Gefahr, dass solche Zellen Krebs verursachen.” Und Schöler fährt fort: „Da die aktuellen menschlichen iPS-Zelllinien, die mit Oct4 generiert wurden, möglicherweise nicht vollständig pluripotent sind, werden wir auch in Zukunft menschliche ES-Zellen als Goldstandard der Pluripotenz benötigen. Dieses Wissen ist besonders wichtig für Länder wie Deutschland, wo die Forschung mit humanen ES-Zellen eingeschränkt ist und immer wieder die Auffassung vertreten wird, dass menschliche iPS-Zellen menschliche ES-Zellen ersetzen können.“

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