Forscher lassen erbsengroße Miniatur-Gehirne im Labor wachsen

Zellen treten miteinander in Kontakt und bauen elektrische Aktivität auf

03.09.2019 - USA

(dpa) An Miniatur-Gehirnen im Labor haben Forscher elektrische Aktivitäten gemessen, die Hirnströmen frühgeborener Kinder ähneln. Die Mini-Hirne sind etwa eine Million Mal kleiner als ein menschliches Gehirn, zeigen aber ab einem Alter von etwa vier Monaten rhythmische Netzwerkaktivitäten. Die Forscher um Alysson Muotri von der University of California in San Diego (Kalifornien, USA) sehen solche Organoide als Modelle an, mit denen beispielsweise krankhafte Fehlentwicklungen des Gehirns oder die Wirkung von Medikamenten untersucht werden können.

UC San Diego Health Sciences

Gehirnorganoide in einer Laborschale.

«Das Niveau der neuronalen Aktivität, das wir sehen, ist im Labor beispiellos», wird Muotri in einer Mitteilung des Fachmagazins zitiert. Seine Kollegen und er seien einem Modell, das die frühen Stadien eines hoch entwickelten Nervenzell-Netzwerks erzeugen kann, einen Schritt näher gekommen. Netzwerke entstehen, wenn Nervenzellen Verbindungen untereinander aufbauen.

Die Forscher züchteten zahlreiche der dreidimensionalen Organoide aus speziellen Stammzellen und ließen sie zehn Monate im Labor wachsen. Die Umgebungsbedingungen gestalteten sie so, wie sie für die Entwicklung der Großhirnrinde eines menschlichen Gehirns notwendig sind.

Anhand von genetischen Markern untersuchten die Wissenschaftler, welche Zellen in verschiedenen Stadien im Organoid zu finden sind. Nach einem Monat bestanden die Zellkomplexe zu 70 Prozent aus Vorläuferzellen. Nach drei und sechs Monaten waren vor allem spezialisierte Zellen des Gehirns zu finden, wie Gliazellen und Nervenzellen. Die Forscher entdeckten auch Nervenzellen mit sogenannten GABA-Rezeptoren, die im Labor zuvor noch nicht erzeugt worden seien.

Die etwa erbsengroßen Mini-Hirne wuchsen auf einer Platte mit zahlreichen Elektroden. So konnte das Team um Muotri immer wieder die elektrische Aktivität des sich entwickelnden neuronalen Netzwerks bestimmen. Diese Messungen verglichen sie mit Messungen von Gehirnaktivitäten, die andere Forscher von frühgeborenen Kindern aufgezeichnet hatten. Sie trainierten ein System mit künstlicher Intelligenz mit den Messdaten der Frühchen und das Programm konnte näherungsweise das Entwicklungsstadium der Organoide bestimmen.

Muotri und Kollegen sind sich bewusst, dass ihre Forschung auch gesellschaftliche und ethische Fragen aufwirft. Sie betonen, dass die Organoide sich in vielerlei Hinsicht vom menschlichen Gehirn unterschieden. «Das Organoid ist immer noch ein sehr rudimentäres Modell - wir haben keine anderen Gehirnteile und Strukturen», sagt Muotri. So fehlten etwa Blutgefäße, auch die Unterteilung in zwei Hirnhälften gebe es nicht. Er hebt vor allem die Chancen hervor: «Ich kann Menschen mit neurologischen Erkrankungen helfen, indem ich ihnen bessere Behandlungen und eine bessere Lebensqualität gebe.» Muotri ist auch an einem Unternehmen beteiligt, das unter anderem mit Hilfe von Hirn-Organoiden die Therapie bestimmter neurologischer Erkrankungen vorantreiben möchte.

Oliver Brüstle vom Universitätsklinikum Bonn sieht ebenfalls große Chancen in der Forschung an Gehirn-Organoiden. Er bescheinigt der Gruppe um Muotri eine gute, seriöse Arbeit, die technisch solide gemacht sei. Allerdings stört er sich an der Interpretation, dass die neuronalen Aktivitäten mit denen von Menschen vergleichbar seien: «Mit einer solchen Aussage sollte man sehr vorsichtig sein.» Beispielsweise seien hemmende Neuronen in Organoiden schwierig zu realisieren, da sie an anderer Stelle im Gehirn gebildet werden und dann in die Großhirnrinde wandern.

Auch Jürgen Knoblich vom Institut für Molekulare Biotechnologie in Wien (Österreich) hält den Vergleich mit den Hirnaktivitäten von frühgeborenen Kindern für unangemessen: «Diese Interpretation geht zu weit und kann falsche Hoffnungen wecken». In der wissenschaftlichen Gemeinschaft gebe es zudem Zweifel daran, dass mit der flachen Elektrodenplatte tatsächlich Aktivitäten des gesamten Organoids gemessen wurden. Das Organoid sei jedoch ein sehr gutes Forschungsmodell, viel besser als das bisher oft verwendete Mausmodell.

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